Wolfgang Thierse zur Glyphosat-Zulassung und den Folgen

"Fast gespenstischer Vorgang"

Nach der Zulassung des umstrittenen Pflanzenschutzmittels Glyphosat hat der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse heftige Kritik geübt. Die Entscheidung gleiche einer "Ohrfeige" für die SPD, sagte er gegenüber domradio.de.

Landwirt versprüht Glyphosat / © Patrick Pleul (dpa)
Landwirt versprüht Glyphosat / © Patrick Pleul ( dpa )

domradio.de: CSU-Agrarminister Schmidt hat auf EU-Ebene für eine weitere Zulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat gestimmt, ohne das mit der SPD abzusprechen. SPD-Umweltministerin Hendricks bezeichnet das als klaren Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Bundestages. Das sind harte Worte. Was heißt das jetzt?

Wolfgang Thierse (SPD-Politiker und früherer Bundestagspräsident): Das sind keine harten Worte, sondern die Beschreibung eines Tatbestandes. Herr Schmidt hat gegen die Geschäftsordnung des Bundestages verstoßen. Die Frage ist, ob in Kenntnis oder gar mit Zustimmung des Kanzleramtes oder Bundeskanzlerin Merkel oder nicht.

Jedenfalls kann man sein Verhalten als Absage an die große Koalition verstehen. Denn wer sich im Moment so widrig verhält, der muss wissen, was er tut. Herr Schmidt wusste, dass in dieser Woche Gespräche beim Bundespräsidenten stattfinden, dass es Vorsondierungen gibt. Gewissermaßen erteilt er der SPD eine Ohrfeige und verletzt elementare Regeln einer Koalitionspartnerschaft. Das ist schon ein erstaunlicher und befremdlicher Vorgang.

domradio.de: Was haben Sie gedacht, als Sie davon gehört haben?

Thierse: Ich wollte das gar nicht glauben. Es ist in der Sache ja auch nach meiner Überzeugung falsch. Glyphosat ist ein hochproblematisches Pflanzenschutzmittel. Selbst wenn es nicht so krebserregend sein sollte, wie manche Wissenschaftler sagen, wissen wir doch aber, wie sehr es unsere Natur und die Artenvielfalt schädigt.

Wenn dann ein Landwirtschaftsminister in der Sache so entscheidet, aber auch damit ein politisches Signal gibt, das man wie eine Absage an eine mögliche CDU-SPD-Regierung verstehen muss - dann finde ich das schon einen fast gespenstischen Vorgang.

domradio.de: Jetzt gibt es noch eine andere Alternative zur großen Koalition. Am Wochenende haben Sie in einem offenen Brief mit ihrer Parteifreundin Gesine Schwan eine Kenia-Koalition vorgeschlagen - sprich: Union und SPD plus die Grünen noch dabei. Würde das die aktuelle Situation nicht noch komplizierter machen?

Thierse: Vielleicht nicht. Denn es wird aus einer gewissen Enge herausführen. Es gibt eine Stimmung gegen die Fortsetzung der großen Koalition. Die bruchlose Fortsetzung der "Groko" ist nicht die einzige Möglichkeit. Weiten wir den Blick, reden wir über Inhalte: Was sollte die SPD in einer nächsten Regierung durchsetzen? Eine gerechtigkeits- und europapolitische Offensive? Vielleicht kann man die Grünen dazu einladen. Das sind auch genau ihre Anliegen, die sie ja teilweise in Jamaika-Verhandlungen vorgebracht und in den Kompromiss-Papieren ja auch durchgesetzt haben.

Warum sollte man das nicht nutzen und anstelle einer einfachen Fortsetzung der großen Koalition eine schwarz-rot-grüne Koalition wagen. Das hatten wir noch nicht. Aber sollte man nicht gerade jetzt kreativ sein und sagen: Wir wagen ein Experiment. Das verlangt allerdings Mut von den Grünen.

domradio.de: Nun sind Sie nicht nur SPD-Politiker, sondern auch engagierter Katholik und Mitglied im Laiengremium der katholischen Kirche. Was sagt denn Ihr christlich-moralischer Blick auf die ganzen Verhandlungen?

Thierse: Dass es nach einem durchaus schwierigen Wahlergebnis langwierig ist, eine brauchbare und handlungsfähige Regierung zu bilden, ist normal in einer Demokratie. Das ist keine Staatskrise. Das verlangt nur Nerven, Geduld und Mut - und das wünsche ich mir. Und das wünsche ich mir auch von den Gesprächspartnern jetzt.

Ich wünsche mir das auch von den Grünen, die mindestens bedenken sollten, dass sie in der Opposition die kleinste Oppositionspartei wären - und dort nicht sehr viel ausrichten könnten mit der AfD, der Linken und der FDP an der Seite. Und dass sie auch in einer schwarz-grünen Minderheitsregierung nicht so viel ausrichten könnten, wie in einer gemeinsamen Koalition mit CDU und SPD.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Wolfgang Thierse (dpa)
Wolfgang Thierse / ( dpa )
Quelle:
DR