Das Ende der Jamaika-Sondierungen erschüttert die Republik

"Ein Tag des Nachdenkens"

Nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche ist die Besorgnis groß. Das Scheitern der Koalitions-Sondierungen von Union, FDP und Grünen hat Deutschland in unübersichtliche politische Verhältnisse gestürzt.

FDP-Chef Christian Lindner / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
FDP-Chef Christian Lindner / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte gegen Mittag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das weitere Vorgehen beraten. Nachdem die SPD ihre Ablehnung einer großen Koalition auch nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche noch einmal bekräftigte, bleiben zwei Möglichkeiten: eine Minderheitsregierung unter Führung der Union oder aber Neuwahlen.

In der Nacht zum Montag hatte der FDP-Vorsitzende Christian Lindner die Sondierungsgespräche mit CDU, CSU und den Grünen für gescheitert erklärt. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", sagte Lindner in Berlin. Es habe sich gezeigt, "dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten".

Keine Vertrauensbasis

Lindner hatte den Abbruch der Sondierungen damit begründet, dass es in den gut vier Verhandlungswochen nicht gelungen sei, eine Vertrauensbasis zu schaffen. Das wäre aber Voraussetzung für eine stabile Regierung gewesen. Lindner machte deutlich, dass die Gräben zwischen FDP und Grünen aus seiner Sicht zu groß waren. Die Liberalen seien für Trendwenden in der Politik gewählt worden, etwa in der Bildung oder bei der Entlastung der Bürger. Diese seien nicht erreichbar gewesen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bedauerte den Abbruch der Sondierungsgespräche. "Es ist ein Tag mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland", sagte Merkel. Sie fügte hinzu: "Ich als Bundeskanzlerin, als geschäftsführende Bundeskanzlerin werde alles tun, dass dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird."

"Nicht in unserem Interesse, dass sich das verkrampft"

Auch international wird die Entwicklung in Berlin mit Sorge gesehen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte am Montag: "Es ist nicht in unserem Interesse, dass sich das verkrampft." Macron setzt sich für eine Reform der Europäischen Union ein und ist dazu auf eine stabile Regierung in Deutschland angewiesen.

"Es ist schade, dass es nicht gelungen ist, dies zum Ende zu führen, was zum Greifen nahe war", sagte CSU-Chef Seehofer nach dem Scheitern der vierwöchigen Sondierungen. Auch bei der Migrationspolitik - eines der umstrittensten Themen in den Sondierungen - wäre eine Einigung möglich gewesen.

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn machte unüberbrückbare Differenzen zwischen FDP und Grünen für das Platzen der Gespräche verantwortlich. «Union und FDP wären in zwei Wochen fertig gewesen», sagte Spahn im ZDF-Morgenmagazin. Nun stelle sich erneut die Frage an die SPD, ob sie zusammen mit der Union weiter Regierungsverantwortung übernehmen «oder weiter hämisch in der Ecke bleiben» wolle.

Politische Instabilität bis Frühjahr

Acht Wochen nach der Bundestagswahl ist es nun unklar, wie es weitergeht. Christoph Strack, stellvertretender Leiter des Hauptstadtstudios der Deutschen Welle in Berlin, sagte im domradio.de-Interview: "Im Lager der Union - sowohl bei CDU als auch bei CSU - kann es sein, dass es jetzt Forderungen nach neuen Köpfen gibt", so Strack. "Bei der CSU steht das ganz dringend an. Es gibt Mitte Dezember einen CSU-Parteitag in Nürnberg. Und da wird Horst Seehofer bestenfalls in einer seiner beiden Funktionen - Ministerpräsident oder Parteichef - politisch überleben. Es kann auch sein, dass er beide Ämter relativ zeitnah abgeben muss."

Angela Merkel müsse schauen, dass sie die CDU so zusammenhält, dass sie - wenn sie denn will - nochmal gestalten kann, so Strack. "All das hängt davon ab, welche Richtung während der nächsten Tage eingeschlagen wird." Der Hauptstadtjournalist sprach auch über eine mögliche Minderheitsregierung unter der Führung von Angela Merkel. "Sie bräuchte dazu auch nicht die absolute Mehrheit im Bundestag."

Neuwahlen hält Strack auch für möglich. Das aber wäre die Entscheidung des Bundespräsidenten. "Der Bundespräsident hat aber am Wochenende deutlich gemacht, dass er nicht für Neuwahlen sei und dass die Parteien sich bitte verständigen müssten. Deutschland wird sicher noch bis Frühjahr mit politischer Instabilität leben müssen."


Bundeskanzlerin Angela Merkel / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
dpa , KNA , DR , epd