AfD-Kandidat Glaser scheitert bei Wahl des Bundestagsvizepräsidenten

"Im Parlament schlägt das Herz unserer Demokratie"

Der neue Bundestag trat erstmals zusammen und wählte Wolfgang Schäuble zum Parlamentspräsidenten. Heftige Debatten gaben einen Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen. Die Bundesregierung ist nur noch geschäftsführend im Amt.

Der Plenarssal im Bundestag (dpa)
Der Plenarssal im Bundestag / ( dpa )

Der neu gewählte Bundestag hat am Dienstag in Berlin seine Arbeit aufgenommen. Der bisherige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wurde mit großer Mehrheit zum Parlamentspräsidenten gewählt. "Im Parlament schlägt das Herz unserer Demokratie", sagte Schäuble in seiner Antrittsrede. Er warnte vor einer Zersplitterung der politischen Debatte und der Öffentlichkeit. Der Bundestag dürfe übergeordnete politische Ziele nicht aus den Augen verlieren.

Erstmals ist die rechtspopulistische AfD im Parlament vertreten. Ihr Kandidat Albrecht Glaser scheiterte bei der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten.

Schäuble erhielt 501 Stimmen, gegen ihn votierten 173 Abgeordnete, 30 enthielten sich. Der erfahrene CDU-Politiker, der dem Bundestag seit 45 Jahren angehört, forderte einen respektvollen Umgang im Parlament, der beispielgebend für die ganze Gesellschaft sein solle.

Zivilisiertes Miteinander

In den vergangenen Monaten habe es "Töne der Verächtlichmachung und der Erniedrigung" gegeben. Das habe keinen Platz im zivilisierten Miteinander, sagte der 75-jährige Nachfolger von Norbert Lammert (CDU) als Bundestagspräsident. Schäuble riet angesichts der Debatten um den Einzug der AfD ins Parlament zu Gelassenheit und zum fairen Streit.

Eröffnet wurde die konstituierende Sitzung im Berliner Reichstagsgebäude von Alterspräsident Hermann Otto Solms (FDP), der bis zum Ausscheiden der FDP vor vier Jahren 33 Jahre im Bundestag saß. Er ist damit nach Schäuble der dienstälteste Abgeordnete. Solms appellierte an die Parlamentarier, gegenüber Hetze und Parolen nicht sprachlos zu bleiben, sondern Lösungen für die Probleme der Zukunft zu finden. Es sei die Pflicht des Parlaments, die wehrhafte Demokratie zu stärken.

Vizepräsidenten Schäubles

Nach der Wahl Schäubles zum Parlamentspräsidenten wurden seine Stellvertreter gewählt. Hans-Peter Friedrich (CSU), Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP), Claudia Roth (Grüne) und Petra Pau (Linke) erhielten im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Pau und Roth hatten das Amt schon in der vergangenen Legislaturperiode inne. Das beste Ergebnis erzielte Friedrich mit 507 Ja-Stimmen, das schlechteste Oppermann mit 396 Stimmen. Jede Fraktion stellt einen Vizepräsidenten.

Der AfD-Kandidat Glaser scheiterte im ersten und zweiten Wahlgang deutlich an der notwendigen Mehrheit von 355 Stimmen. Er erhielt aber auch einige Stimmen aus anderen Fraktionen. Wegen islamkritischer Äußerungen war seine Kandidatur auf heftigen Widerstand gestoßen.

Glaser hatte erklärt, für den Islam gelte die Religionsfreiheit nicht. Etliche Abgeordnete hatten schon im Vorfeld öffentlich erklärt, ihn nicht zu wählen.

Glasers Scheitern machte zwei weitere Wahlgänge erforderlich. Im dritten Wahlgang, in dem die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht, stimmten 545 Abgeordnete gegen Glaser und 114 für ihn. Die AfD-Fraktion kann einen anderen Kandidaten vorschlagen, dann wird erneut gewählt.

Erste heftige Debatten

Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag der bislang größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Dem neuen Parlament gehören sechs Fraktionen und sieben Parteien an. Die AfD ist nach CDU/CSU und SPD drittstärkste Fraktion. Hinzu kommen zwei fraktionslose Abgeordnete, die nach der Wahl die AfD-Fraktion verlassen haben, darunter die frühere Parteichefin Frauke Petry. An der ersten Sitzung nahmen als Gäste unter anderen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron teil.

Für erste heftige Debatten sorgten verschiedene Änderungsanträge zur Geschäftsordnung. Die AfD hatte unter anderem gegen die Regelung protestiert, dass der dienstälteste Parlamentarier die Sitzung eröffnen soll. Stattdessen forderte sie einen Versammlungsleiter, der per Handzeichen aus dem Kreis der Abgeordneten gewählt wird. Der Antrag wurde abgelehnt. Die SPD sprach sich dafür aus, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mindestens vier Mal im Jahr in einer Regierungsbefragung äußern muss. Der Antrag scheiterte an den Stimmen von Union, FDP und Grünen und wurde zur Beratung in den Ältestenrat verwiesen.

Moral und Anstand im Parlament

Vor der konstituierenden Sitzung des Bundestags hatten Vertreter der beiden großen Kirchen an Moral und Anstand von Politikern im Parlament appelliert. Sie müssten die Menschen erreichen, dürften ihnen aber "nicht nach dem Mund reden", sagte der Leiter des Katholischen Büros, Karl Jüsten, in einem Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche in Berlin. "Wir müssen die Wahrheit sagen, wir dürfen die Menschen nicht mit falschen Versprechungen verführen, nicht mit ihren Ängsten spielen, um sie zu vereinnahmen."

Der Bundestag muss sich spätestens 30 Tage nach einer Bundestagswahl konstituieren. Am selben Tag wird auch die Bundesregierung formell entlassen und ist dann nur noch geschäftsführend im Amt. Den Mitgliedern der Bundesregierung sollten am Dienstagabend die Entlassungsurkunden im Schloss Bellevue vom Bundespräsidenten ausgehändigt werden.


Quelle:
epd
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