Historiker kritisiert Vergleiche zwischen Che Guevara und Jesus

"Che Guevara war ein Henker"

Er war Revolutionsführer und nach seinem Tod vor 50 Jahren wurde er zu einer Ikone hochstilisiert: Che Guevara polarisiert bis heute. Doch die Vergleiche mit Jesus Christus gehen eindeutig zu weit, meint der Historiker Michael Huhn.

T-Shirts mit den Aufdrucken von Ernesto Che Guevara / © Klaus Honigschnabel (epd)
T-Shirts mit den Aufdrucken von Ernesto Che Guevara / © Klaus Honigschnabel ( epd )

domradio.de: Das letzte Bild seines Leichnams weckt unweigerlich Assoziationen zum gekreuzigten Jesus. Bis heute heißt es immer wieder, dass Ernesto Che Guevara aus Liebe zu den Menschen sein Leben gab. Der Liedermacher Wolf Biermann besang ihn als "Jesus Christus mit der Knarre". Was ist der Hintergrund dieser ständigen Vergleiche mit Jesus?

Michael Huhn (Historiker und Mitarbeiter beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Der Ausgangspunkt ist, dass – so wie Jesus – auch Ernesto Guevara eines gewaltsamen Todes starb und dass er von sich in Anspruch nahm, das Gute gewollt zu haben.

Da enden meines Erachtens aber auch schon die Parallelen. Denn er hat gewiss nicht sein Leben aus Liebe zu den Menschen hingegeben, sondern umgekehrt sehr vielen Menschen das Leben genommen. Er war ein Henker. Er hat im Gefängnis "La Cabaña" in Kuba die Hinrichtung von Gefangenen angeordnet und dafür gesorgt, dass diejenigen, die es vollzogen, damit eine Mutprobe – wie er es bezeichnete – bestanden hatten.

domradio.de: Der Philosoph Jean-Paul Sartre nannte ihn sogar den "vollkommensten Mann seiner Zeit". Was steckt hinter dieser Überhöhung? Vielleicht der Wunsch nach einem neuen "modernen Jesus"?

Huhn: Ja. Ernesto Guevara ist ideal für jemanden, der nicht mehr betet, aber gern anbeten möchte. Sartre hat es sich insofern leicht gemacht, weil er sich mit Guevaras Proklamation beschäftigt hatte, aber nicht mit dem, was er tatsächlich getan hatte. So konnte er sich sozusagen vor seine eigene Guevara-Ikone stellen und ihn als einen modernen Jesus bezeichnen.

Das ist das Grundproblem der Guevara-Verehrung, sowohl in Lateinamerika als auch in Europa, dass man sich für den wirklichen Lebenslauf Guevaras kaum noch interessiert.

domradio.de: Che Guevara war also alles andere als ein Heiliger. Er hat Todesurteile angeordnet, wie Sie schon angerissen haben. Was steckte genau dahinter?

Huhn: Er ließ keine Gnade gegenüber denjenigen walten, die Gefangene der kubanischen Revolution waren, weil er der Meinung war, das Böse müsse ausgemerzt werden, damit das Gute zum Durchbruch komme.

Er hatte auch ein bestimmtes Männlichkeitsideal, weshalb er einen tiefen Hass gegen Homosexuelle zeigte. Er hat Jagd auf Homosexuelle in Kuba machen lassen.

Ein weiteres Grundproblem war, dass er eine tiefe Verachtung für die sogenannten einfachen Leute hatte. Seine Überzeugung war, dass die Revolutionäre wissen, wo es langgeht, und die ungebildeten armen Bauern müssten nur nachfolgen. Wenn jemand nicht willig war nachzufolgen, dann bekam er seine "gerechte Strafe" durch Guevara.

domradio.de: Die Verehrung, die sich später entwickelt hat, trägt ganz klar religiöse Züge. Wie war es denn bei Che Guevara selbst? War er ein religiöser Mensch?

Huhn: Ich glaube nicht. Ich weiß nicht, wie es in seinen ersten Kinder- und Jugendtagen war, aber danach gewiss nicht mehr. Er hatte eine Verehrung für das Ideal einer Revolution. Wenn man den Begriff "religiös" ganz, ganz weit fassen will, dann war er sozusagen manisch revolutionär religiös. Aber im dem Sinne, wie wir das Wort verstehen, war er sicherlich nicht religiös.

Er war ein Alt-Stalinist und Stalinismus und Religion passen ganz schlecht zusammen.

domradio.de: Sein Denken und Handeln waren von einer Verherrlichung von Gewalt und Tod beherrscht. Später beruft sich sogar die Rote Armee Fraktion auf ihn. Warum wird das an Jubiläumstagen, wie heute, ausgeblendet?

Huhn: Ich glaube, weil seine Gewalt lange Zeit als eine "gute Gewalt" galt. Es war selbstverständlich, dass die erste Gewalt in Lateinamerika nicht die Gewalt der Guerilla war, sondern die Gewalt, die das Volk von den Mächtigen, von den Großgrundbesitzern und den Militärs erduldet hat. Von daher schien seine Gewalt als Gegengewalt gerechtfertigt. Deswegen bestand wenig Interesse hinzuschauen, wie gewalttätig er und seine Gruppe waren und was sie mit ihrer Gewalt erreicht oder nicht erreicht haben.

Fidel Castro musste ihn zurückpfeifen, weil es einfach zu blutig wurde. Aber all das ist nicht so mächtig wie die Bilder, die berühmte Fotografie von Alberto Korda oder das, was Eduardo Galeano in seinen Büchern zur lateinamerikanischen Geschichte geschrieben hat. Die Lichtpunkte, die Glanzpunkte, die sind stehengeblieben.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR