Kardinal Willem Eijk zu aktiver Sterbehilfe in Niederlanden

Ausdruck von "Hyperindividualismus"

In den Niederlanden ist aktive Sterbehilfe unter bestimmten Bedingungen legal. Einige Politiker fordern sie für ältere Menschen, die ihr Leben als "vollendet" ansehen. Der niederländische Kardinal Eijk nimmt im KNA- Interview Stellung.

Bewohner eines Altenheims: Dürfen auch sie in Zukunft aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen? / © Thomas Effinger (KNA)
Bewohner eines Altenheims: Dürfen auch sie in Zukunft aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen? / © Thomas Effinger ( KNA )

KNA: Herr Kardinal, besorgt Sie die aktuelle Debatte um aktive Sterbehilfe in den Niederlanden?

Kardinal Eijk: Wenn man sich die Geschichte von aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden anschaut, kann man von einem "Schlitterpfad" oder "rutschigen Abhang" sprechen. Ende der 70er Jahre, Beginn der 80er Jahre haben wir begonnen, über Möglichkeiten der Akzeptanz aktiver Sterbehilfe im finalen Stadium einer körperlichen Krankheit zu diskutieren. Danach akzeptierten wir es auch im nicht-terminalen Stadium.

In den 90er Jahren wurde aktive Sterbehilfe auch im Fall von psychischen Krankheiten und auch Demenz akzeptiert. 2004 kam der Dammbruch mit dem sogenannten Groninger Protokoll, das die aktive Sterbehilfe für Neugeborene mit einer Behinderung erlaubt.

Die aktuellste Entwicklung ist die Diskussion über aktive Sterbehilfe nach einem "vollendeten" Leben - also für Menschen, die nicht unerträglich und aussichtslos an einer körperlichen oder psychischen Krankheit leiden. Menschen, die sagen: Ich bin alleine, ich habe meine Liebsten verloren, meine Mobilität ist eingeschränkt und deswegen denke ich, dass mein Leben abgeschlossen ist.

KNA: Warum, glauben Sie, gibt es diese Entwicklung gerade in den Niederlanden?

Eijk: Die Niederlande und Ostdeutschland sind die am meisten säkularisierten Regionen in Europa. Ich sehe diese Entwicklungen auch in anderen Westeuropäischen Ländern, wie in Belgien und neuerdings auch in Italien. In ein paar Jahren werden wir vielleicht die gleiche Situation in Italien haben wie in den Niederlanden.

Wohlstand bringt immer auch Individualismus. Wenn eine Person genug Geld hat, kann sie unabhängig von anderen leben. In den Niederlanden ist der Individualismus stetig stärker geworden. Der Vorschlag für aktive Sterbehilfe für Menschen mit einem "vollendeten" Leben ist ein Ausdruck von "Hyperindividualismus" in unserem Land.

Menschen wollen über das Ende ihres Lebens entscheiden, ohne von einem Arzt abhängig zu sein oder von einem Gesetz daran gehindert zu werden. Andernfalls haben sie das Gefühl, dass ihre Autonomie verletzt wird.

KNA: In Belgien führt die Akzeptanz von aktiver Sterbehilfe in den Kliniken der Brüder der Nächstenliebe derzeit zu heftigen Auseinandersetzungen. Wie wirkt sich aktive Sterbehilfe auf christliche Pflegeeinrichtungen in den Niederlanden aus?

Eijk: Wir haben viele katholische Krankenhäuser verloren, weil sie mit nicht-katholischen Einrichtungen zusammengelegt wurden. Die Regierung bevorzugt große Einrichtungen, weil dadurch Geld gespart werden kann. Einige Krankenhäuser haben dadurch ihre katholische Identität fallen gelassen. Es gibt immer noch katholische Krankenhäuser, aber ihre katholische Identität ist nicht mehr so klar.

Viele Ärzte und andere Mitarbeiter haben ihre Beziehung zur Kirche verloren. Viele katholische Krankenhäuser führen auch aktive Sterbehilfe aus und akzeptieren manchmal auch Abtreibungen - aber in einem geringeren Maße als säkulare Krankenhäuser.

KNA: Sie sind Mitglied der Päpstlichen Akademie für das Leben. Welche Ratschläge geben sie Bischöfen aus Ländern, in denen die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe diskutiert wird?

Eijk: Außer, dass ich betonte, dass das menschliche Leben einen intrinsischen Wert hat, der nie durch aktive Sterbehilfe oder Suizid verletzt werden darf, warne ich zuerst vor dem "Schlitterpfad". Wenn aktive Sterbehilfe für ein bestimmtes Leiden akzeptiert wird, wird es immer die Forderung nach der Legalisierung für andere Fälle geben. Wenn die Tür nur einen Spalt geöffnet ist, wird sie am Ende komplett geöffnet sein.

Zweitens rate ich ihnen, die Palliativpflege zu stärken. Es reicht nicht aus, zu sagen, dass aktive Sterbehilfe moralisch verwerflich ist. Wir müssen den Menschen eine Antwort auf ihr Leiden anbieten und das ist die Palliativmedizin. In den Niederlanden haben wir die Palliativpflege erst in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eingeführt.

Das war zu spät. Mit guter Palliativpflege kommen Menschen gar nicht in eine so hoffnungslose Situation, dass sie aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen.

KNA: Sie haben auch Medizin studiert, welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit aktiver Sterbehilfe gemacht?

Eijk: Als ich Arzt am Universitätsklinikum in Amsterdam war, Ende der 70er Jahre, fragte mich einer meiner Patienten nach aktiver Sterbehilfe. Die Hälfte des Personals an dem Klinikum war dagegen, die andere Hälfte dafür. Ich antwortete dem Patienten, dass ich ein überzeugter Katholik bin und deshalb keine aktive Sterbehilfe leiste. Am Ende erfüllte der Klinikchef den Wunsch des Patienten.

 

Kardinal Willem Jacobus Eijk, Erzbischof von Utrecht / © Franziska Broich (KNA)
Kardinal Willem Jacobus Eijk, Erzbischof von Utrecht / © Franziska Broich ( KNA )
Quelle:
KNA
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