Kirche unterstützt Proteste gegen Stahlfusion im Pott

"Sie müssen und sollen auch demonstrieren"

Die angekündigte Fusion der Thyssenkrupp-Stahlsparte mit Tata steht in der Belegschaft weiter massiv in der Kritik. Am Freitag soll in Duisburg protestiert werden. Propst Michael Ludwig von St. Peter und Paul in Bochum hat dafür Verständnis.

Ein Stahlarbeiter bei ThyssenKrupp in Duisburg / © Roland Weihrauch (dpa)
Ein Stahlarbeiter bei ThyssenKrupp in Duisburg / © Roland Weihrauch ( dpa )

domradio.de: IG Metall und der Betriebsrat rufen für morgen alle Mitarbeiter zu einer Demonstration auf. Sie fordern Garantien für alle Arbeitsplätze und Standorte. Aber beschlossen ist die Fusion so oder so. Was können die Arbeitnehmer jetzt noch tun?

Propst Michael Ludwig (Pfarrer und Gemeindepastor St. Peter und Paul, Bochum): Sie müssen und sollen auch demonstrieren. Wir haben da viele Erfahrungen gemacht auch bei Opel. Wir haben auch Erfahrung bei Nokia gemacht, dass die Mitarbeiter erst einmal öffentlich bekunden, dass sie das nicht einfach so mit sich machen lassen. Das ist natürlich öffentlichkeitswirksam. Und dann kann man besser die Zukunft mitgestalten. Die Grundsatzentscheidung muss ja erst noch umgesetzt werden in viele Einzelmaßnahmen. Darauf kann man schon Einfluss nehmen.

domradio.de: Was wären denn jetzt aus ihrer Sicht die richtigen Schritte von Thyssenkrupp?

Propst Ludwig: Die Verantwortlichen sind in der Pflicht. Es gibt dort gute Mitbestimmungsstrukturen und eine gute Gewerkschaftsarbeit. Da sollten wir uns als Kirche auch raushalten. Wenn wir aber gefragt werden, wenn es um Menschlichkeit geht, dann müssen wir unsere Stimme erheben. Wir haben ja auch selber das Problem, dass wir im Laufe der letzten Jahre vieles abbauen mussten, auch an Mitarbeitern. Und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, wie das sozialverträglich im guten Einvernehmen gestaltet werden kann. Da könnten wir sicherlich, wenn wir gefragt werden, Hilfe geben.

domradio.de: Was meint sozialverträglich? 

Propst Ludwig: Es gibt vielerlei Möglichkeiten. Unser Nokia-Werk ist damals geschlossen worden, wir sind auch am Rand von Opel, auch da haben wir vieles erlebt. Es wird wieder Härten geben, ja. Da ist sicherlich die Frage, wie ein Werk erstmal die Verpflichtung übernehmen kann, den Menschen zu helfen. Dann müssen wir sicherlich auch in den Gemeinden aktiv werden. Wir können kein Geld geben, aber wir können unterstützen, Räume zur Verfügung stellen oder auch den Menschen bei Beratungsgesprächen helfen.

domradio.de: Sie haben Nokia und Opel erwähnt, die beiden Werke, die geschlossen worden sind. Da ist dann auch wieder Neues entstanden? 

Propst Ludwig: Es ist ganz klar, dass ein Mann am Hochofen nicht auf einmal Ingenieur an der Uni werden kann. So konnte auch eine Nokia-Einpackerin nicht auf einmal Technik-Assistentin werden. Das kann im Einzelfall schwierig und hart werden. Aber gerade in Bochum haben wir oft solche harten Wandel erlebt. Und nach einer bestimmten Zeit haben wir immer wieder neue Perspektiven für die Stadt und dann auch für die Menschen erlebt. Das wird aber nicht allen Betroffenen helfen. Das wissen wir bei der Kirche auch, wir haben das auch hart gelernt, weil manches geht eben nicht. Aber wir können auch sagen, es geht heute manches Neue, was wir damals bei den ersten Fusionen der Pfarreien nie gedacht hätten.

Aber das ist jetzt in diesem Fall hier ein Prozess, der erst beginnt. Und dann kann man wirklich perspektivisch was machen. Die Geländeentwicklung ist das eine und die Personalentwicklung das andere. Da muss auch in den Köpfen etwas passieren. Es gibt sehr viele kreative Startups in Kombination mit der Uni. Wir haben vielfältige kleinere Unternehmen, die wesentlich kreativer auf dem Markt reagieren, die damit Möglichkeiten haben.

Ich sehe natürlich, dass manche ältere Arbeitnehmer das nicht schaffen. Aber ich weiß von Jüngeren, die dann in einem Wechsel durchaus etwas Neues für sich entdeckt haben. Wir sprechen ja permanent vom Wandel im Ruhrgebiet. Also: Uns trifft das hart, aber wir wissen schon länger, das etwas in der Pipeline ist. Und jetzt müssen wir versuchen, daraus das Beste zu machen.

domradio.de: Wie kommen die Menschen in ihrer Gemeinde mit diesem stetigen Wandel klar?

Propst Ludwig: Es ist schwierig, weil immer die Sehnsucht nach dem Vertrauten bleibt. Das ist bei der Kirche auch so, man hofft immer auf Dinge, die man von früher her kennt. Wir sprechen in der Kirche in jeder heiligen Messe von Wandlung, aber eigentlich möchten die Leute, dass alles so bleibt. Ich glaube, dass Jesus in unseren Breitengraden heute auch keine Chance hätte, weil er Neues gebracht hat in den klassischen Gemeinden. Der Wandel ist eine große Herausforderung für uns als Kirche. Das ist mühselig, das ist schwierig.

Das alttestamentliche Volk Israels hat auch gemurrt und gemeckert, und das tun unsere Gemeinden auch. Da muss man die Schwachen trösten und begleiten, und auch einen Sozialplan mit unterstützen, damit die Schwachen, die keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, dann noch andere Sachen finden. Ich habe auch nicht die Lösung für alles, auch weil das jetzt erst wieder anfängt. Aber ich habe Vertrauen in uns.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Propst Michael Ludwig / © Achim Pohl (privat)
Propst Michael Ludwig / © Achim Pohl ( privat )
Quelle:
DR