Publizistin Dannenberg über die Kirche als Politikbetrieb

Wie politisch darf Kirche sein?

Wie politisch darf Kirche sein? Das titelt das politische Magazin "Cicero". Die Publizistin Sophie Dannenberg fordert von den Kirchen einen eigenen Umgang mit Politik. Selber hat die Atheistin überlegt, sich taufen zu lassen.

Kirche im Wahlkampf 2017: Wie viel Einmischung ist angebracht? / © Lukas Schulze (dpa)
Kirche im Wahlkampf 2017: Wie viel Einmischung ist angebracht? / © Lukas Schulze ( dpa )

domradio.de: Einen gewichtigen Aspekt haben Sie in der Kirche bisher nicht in der Weise gefunden, in der sie danach gesucht haben. Welcher war das?

Sophie Dannenberg (Publizistin und Autorin beim Magazin "Cicero"): Ich hatte den Eindruck, wenn ich in die Kirche gegangen bin, in der Vergangenheit, dass der Fokus in den Gottesdiensten weniger auf der Verkündigung liegt und weniger auf der Beschäftigung mit dem Jenseits und dem ewigen Leben, sondern mit ganz konkreten politischen Themen.

domradio.de: Es war Ihnen also zu profan?

Dannenberg: Die Themen an sich sind ja nicht immer falsch. Es ist auch nicht falsch sich politisch zu engagieren und nach Lösungen zu fragen. Nur, ich hatte den Eindruck, ich könnte mit diesem Anliegen auch zu Greenpeace gehen oder einer anderen politischen Vereinigung. Ich hatte auch den Eindruck, es wird mir nicht helfen eine Solaranlage auf einem Gemeindedach zu installieren, wenn zum Beispiel ein naher Verwandter stirbt oder wenn ich schweren Kummer oder eine Krankheit zu bewältigen habe.

Eine Abkehr von der Transzendenz?

domradio.de: Wenn Ihnen das so aufgefallen ist, hat Sie das dann dazu gebracht, sich noch näher mit dem Thema zu beschäftigen, zu recherchieren und sich die Frage zu stellen, wie politisch darf und soll eigentlich Kirche sein?

Dannenberg: Das war mit eine Motivation für mich, mich da ganz intensiv in die Gemeinden zu begeben. Ich habe auch mit ganz vielen verschiedenen katholischen Gruppen darüber gesprochen, die sich engagieren. Der Schluss, zu dem ich gekommen bin, ist, dass in den Kirchen eine Abkehr von der Transzendenz stattfindet und dass das starke politische Engagement, das, wie gesagt, im Einzelfall überhaupt nicht falsch sein muss, so etwas wie eine Kompensation darstellt für etwas, was die Kirchen verloren haben oder dabei sind zu verlieren.

domradio.de: Die Kirchen suchen ja auch nach Aufmerksamkeit. Gerade die Flüchtlingskrise, die vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, die waren ja in gewisser Weise eine Chance, sich wieder in der Öffentlichkeit zu zeigen...

Dannenberg: Die Gemeinden haben sich da sehr engagiert und sind teilweise richtig aufgeblüht in der Flüchtlingshilfe. Dieses Thema ist jedoch nicht ohne Ambivalenz zu betrachten, weil es da zum Beispiel zu monetären Verwicklungen kommt, zwischen Kirche und Staat. Die Kirchen werden mit Staatsgeldern unterstützt für die Flüchtlingshilfe. Dann ist es irgendwann schwer auseinander zu halten: Helfen sie aus moralischen Gründen oder helfen sie, weil es so viel Geld dabei gibt.

domradio.de: Welchen Eindruck hatten Sie denn?

Dannenberg: Da sind immer moralische Argumente dabei. Und ich muss auch sagen, das sind richtig nette Leute, die sich da engagieren. Gegen die ist absolut nichts zu sagen. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass die Arbeit in der Flüchtlingshilfe sehr weltlich ist. Wenn man da fragt: Was ist eigentlich die christliche Motivation? – kommt als Antwort eigentlich sehr wenig. Da kommt vielleicht einmal ein Bibelzitat oder so, aber viele Mitarbeiter haben mir erzählt, dass sie eigentlich nicht beten. Vielleicht gibt es einmal eine Andacht, aber das wars auch schon. Die Arbeit ist also sehr politisch, sehr weltlich. Hinzu kommt eine Beobachtung, die ich gemacht habe, dass manche Helfer, auf keinen Fall alle, die Flüchtlinge narzistisch missbrauchen. Die wollen sich gut fühlen, wollen gute Menschen sein und wollen sich anderen überlegen fühlen. Sie sehen in den Flüchtlingen auch eine Möglichkeit, das Christentum wieder mit einem neuen Sinn aufzuladen. Dass das so eindeutig moralisch ist, wage ich zu bezweifeln.

domradio.de: Könnten das nicht auch Einzelfälle sein, diese, ich nenne es mal „Instrumentalisierung der Flüchtlinge“, die gekommen sind. Weil viele auch ganz hehre Interessen haben und einfach helfen wollen?

Dannenberg: Natürlich, das mischt sich da. Und ist auch schwer auseinanderzuhalten.

"Käßmannisierung der Politik"?

domradio.de: Haben Sie denn Unterschiede feststellen können, was die Konfessionen anbetrifft. Ich habe zum Beispiel etwas von „Käßmannisierung der Politik“ gelesen. Das zielt ja eher in die evangelische Richtung?

Dannenberg: Ja, das ist ein Bonmot des Extremismusforschers Klaus Schröder, mit dem ich gesprochen habe, zu dem Thema. Er hat aber auch Reinhard Kardinal Marx damit gemeint. Er sagte, dass er die Linkspartei manchmal von links überhole, habe er den Eindruck. Man muss auch sagen, dass die Politisierung der Kirchen eindeutig im linken Spektrum zu verorten ist, im links-grünen Spektrum. Das gilt auch für die katholischen politischen Bewegungen. Da ist zum Beispiel die Friedensbewegung Pax Christi. Das ist eine katholische Bewegung, aber die arbeitet sehr eng mit der Partei Die Linke zusammen, was die Aufklärungsarbeit über Waffenexporte anbelangt.

domradio.de: Es fehlt Ihnen also ein bisschen die Transzendenz. Das hat Papst Benedikt XVI. bei seinem letzten Deutschlandbesuch genau angeprangert. Er hat ja eine Kirche gefordert, die sich ein bisschen aus der Welt zurückzieht. Stimmen Sie ihm in diesem Punkt also absolut zu?

Dannenberg: Würde ich so sehen, wobei Papst Benedikt XVI. das sehr dialektisch gesehen hat. Er hat im Rückzug eine Chance eines neuen Weltbezugs gesehen. Das finde ich einen sehr interessanten Gedanken. Und tatsächlich wäre der Rückzug, die Rückbesinnung auf die eigene Arbeit auch wichtig, als dieses fiebrige sich Hineinstürzen in den aktuellen politischen Diskurs.

Sollte sich Kirche aus dem Wahlkampf raushalten?

domradio.de: Sollte sich die Kirche im Wahlkampf also lieber auf Gott konzentrieren und die konkreten Diskussionen den Politikern überlassen?

Dannenberg: Ich finde, eigentlich die Kirche sollte sich aus der aktuellen Politik zurückhalten. Sie sollte ja auch Positionen für alle Gläubigen bieten und nicht einseitig auf linke oder grüne Positionen fokussieren. Linke Positionen müssen ja nicht falsch sein. Sie sind aber auch nicht zwingend richtig, weil sie links sind. Die Gefahr ist, dass die Kirche die konservativen Gläubigen vergrault, dass sie sich abgehängt fühlen, dass sie sich nicht mehr wahrgenommen fühlen. Und der Ansatz, die Welt zu begreifen, ist sehr unterschiedlich. Die Politik muss pragmatisch handeln. Sie muss nicht nur christlich handeln, sondern ihre Bürger schützen und im Interesse ihrer Bürger handeln, die nicht alle nur Christen sind. Die Kirche hat einen ganz anderen Ansatz, der nicht unbedingt nur im Diesseits verankert ist. Deswegen kommt es manchmal zu dem Effekt, dass die Vorschläge der Kirchen, wenn sie politisch sind, doch etwas naiv wirken und man nicht ganz nachvollziehen kann, wie das jetzt umzusetzen ist.

domradio.de: Auf der anderen Seite finden aber auch viele Politiker, dass die Kirchen – dadurch, dass sie sich für die Armen, für die Entrechteten, für die Schwachen einsetzen – einen ganz wichtigen Beitrag in der Gesellschaft leisten. Das bedeutet in gewisser Hinsicht auch immer wieder darauf zu achten, wem geht es nicht so gut, wie sind die Probleme – soziale Gerechtigkeit, Flüchtlinge usw.?

Dannenberg: Dass Christen sich, aus einem tiefen Glauben heraus, um Ärmere und Schwächere kümmern und dass sie die Schöpfung schützen wollen, ist ja Teil des Glaubens, wie Sie treffend hervorheben. Da stimme ich Ihnen auch zu. Meiner Meinung nach sollte sich dieser Glaube aber nicht politisch instrumentalisieren lassen, weder links noch rechts. Das Engagement der Kirchen bleibt sicher so eine Gradwanderung zwischen Diesseits und Jenseits und die muss auch immer wieder neu bedacht werden. Das ist kein Prozess, der einmal abgeschlossen ist, sondern der immer wieder von neuem losgeht, aber auch mit sehr viel Achtsamkeit durchgeführt werden sollte.

Kirche im Dilemma?

domradio.de: Was ist dann aber mit den großen ethischen Fragen. Da gibt es ja immer mal wieder solche Abstimmungen im Bundestag, bei denen die Kirche ihre Stimme erhebt und ihre Meinung sagt; zum Beispiel bei der Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik oder bei der „Ehe für alle“. Sollte sie dann bei ethisch-sozialen Themen, wo es ja auch um Grundfeste des Grundgesetzes geht, die ja auch aus einem christlichen Bild kommen, sollte sie da nicht auch die Politik an die Grundfeste erinnern?

Dannenberg: Die Kirche sollte aber nicht der Politik hinterher hecheln, sondern sich auch ihre eigene Zeit lassen, für die Diskurse. Man hat das erlebt als die Bundestagsabstimmung für die „Ehe für alle“ lief, dass da kurz darauf Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, das auf Facebook ganz begeistert kommentiert hat. Das kann nicht alles sein. Zumal der Diskurs innerhalb der lesbisch-schwulen Community über die „Ehe für alle“ auch viel differenzierter geführt wird als in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung. Da sieht es so aus: Die verknatterten konservativen, vielleicht sogar schwulenfeindlichen, Christen sind gegen die „Ehe für alle“ und wir wollen ja hipp und modern sein, also schnell, schnell sagen wir auch, dass wir dafür sind, vonseiten der Evangelischen Kirche. Bei der katholischen Kirche sieht es da etwas anders aus.

Aber innerhalb der Community, die in der Kirche engagiert ist, wird der Diskurs ganz anders geführt. Da wird die „Ehe für alle“ als Gefahr der Anpassung an gegenwärtige Normen gesehen. Ein Zwang hin, auch homosexuelle Beziehungen auf monogame Beziehungen fokussieren zu müssen. In der „Ehe für alle“ wird da durchaus auch ein Herrschaftsinstrument gesehen. Gleichzeitig wird da erkannt, dass die „Ehe für alle“ auch Gleichberechtigung und Anerkennung gibt, aber in gewisser Weise sitzen Homosexuelle da in der Falle, die Theologen übrigens auch. Ich habe keinen Theologen getroffen, der mir das schlüssig ableiten kann aus der Bibel, warum die „Ehe für alle“ zur Institution gemacht werden sollte. Da hat die Kirche also das Dilemma zu fragen: Naja, soll sie sich jetzt an die Bibel anpassen oder soll sie mit der Zeit gehen? Beides scheint irgendwie nicht so ganz richtig zu sein und keinem zu gefallen. Also, es ist ein ganz komplexer Diskurs, der auf lange Zeit geführt werden muss und nicht mal so schnell, weil Angela Merkel meint, man müsse das vor der Wahl noch entscheiden.

domradio.de: Wir haben jetzt viel analysiert. Wir haben viel über Ihre Beobachtungen gesprochen. Wie müsste die Kirche denn, Ihrer Meinung nach, argumentieren?

Dannenberg: Ich würde mir wünschen, dass die Kirchen sich auf ihre eigenen Bezugssysteme stützen. Das ist nun mal die Bibel und die Verkündigung und nicht so sehr sich gezwungen fühlen den aktuellen politischen Debatten hinterher zu laufen. Davon sollten sie sich frei machen. Sie sollten in ihrem eigenen Tempo, in ihrer eigenen Sprache und in ihren eigenen Bezügen über Politik reden. Das wäre ja auch eine Bereicherung. Wenn alle gleich über Politik reden, dann könnte man die Kirche irgendwann als politische Klasse definieren und nicht mehr als Religionsgemeinschaft. In der Argumentation, in der Herangehensweise und in der Sicht auf die Dinge muss da doch ein Unterschied da sein.

Das Gespräch führte Matthias Friebe.

Redaktion: Christian Schlegel


Publizistin Sophie Dannenberg / © Sophie Dannenberg (privat)
Publizistin Sophie Dannenberg / © Sophie Dannenberg ( privat )