Wahlkampfendspurt aus Sicht der Kirchen

Glaube, Familie, Ethik, Flüchtlinge

Der Wahlkampfendspurt läuft. Viele klagen über Langeweile, und doch stehen gravierende Veränderungen an - nicht zuletzt der voraussichtliche Einzug der AfD ins Parlament. Auch andere Themen beobachtet die Kirche sehr genau.

Autor/in:
Christoph Scholz
Stimmabgabe in der Wahlkabine / © Julian Stratenschulte (dpa)
Stimmabgabe in der Wahlkabine / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Wie es die Spitzenkandidaten von Union und SPD mit dem Kirchgang halten, war ein vielbeachtetes Thema beim TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz - auch in den sozialen Netzwerken.

Die Gretchenfrage ist offenbar auch in der säkularen Gesellschaft weiter relevant. Und nicht wenige Parteien berufen sich gerne auf Papst Franziskus oder das Christentum, wenn es um soziale Gerechtigkeit oder eine humanitäre Flüchtlingspolitik geht. Was aber erwartet die Kirche selbst von der künftigen Bundesregierung?

Kirchen kritisieren "Hass und Ausgrenzung"

Die Zeiten, in denen kirchliche Wahlaufrufe die "C"-Parteien empfahlen, ohne sie beim Namen zu nennen, sind schon lange Geschichte. Dennoch haben die Kirchen und ihre Verbände dezidierte Forderungen - von der Aufnahme der Flüchtlinge über die Familienpolitik bis zur Abrüstung. Und so bezieht sich diesmal der Wahlaufruf erstmals seit langem wieder auf eine bestimmte Partei, ohne sie freilich beim Namen zu nennen - allerdings unter anderen Vorzeichen als früher. Natürlich geht es zwischen den Zeilen um die AfD.

Der von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam veröffentlichte Appell kritisiert "Hass und Ausgrenzung", wirbt für ein einiges Europa und für ein weltoffenes Deutschland, das weiter Verantwortung für die Schwächsten übernimmt. Niemand dürfe ausgegrenzt werden.

Jüsten: Menschenbild der AfD nicht mit christlichem vereinbar

Der Leiter des katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, formuliert es noch pointierter: Manche Forderungen im Parteiprogramm der AfD erweckten zwar den Anschein, kirchlichen Positionen nahe zu kommen, "im Hintergrund derartiger Angebote steht aber ein Menschenbild, das sich nicht mit dem christlichen vereinbaren lässt. Wir gehen von der gleichen Würde aller Menschen aus, unabhängig von Herkunft, Staatsangehörigkeit und Religion". Vor allem der Nationalismus als ideologische Grundierung bereite den Bischöfen Sorge.

Konkret wird dies beim Umgang mit Flüchtlingen. Hier beharrt die Kirche auf Hilfe für die Schwächsten und betont, das Asylrecht kenne keine Obergrenzen. Auch im Gegensatz zur Union fordert sie, dass auch Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz, also etwa Bürgerkriegsflüchtlinge, ihre engsten Familienangehörigen nachholen dürfen. Ferner mahnt sie, derzeit keine Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben.

Prüfung der "Ehe für alle"

Dem Schutz von Ehe und Familie sehen sich die Bischöfe auch in Deutschland besonders verpflichtet, wobei sie an der Verbindung zwischen Mann und Frau festhalten. Entsprechend befürworten sie eine verfassungsrechtliche Prüfung der "Ehe für Alle". Für Jüsten ist es angesichts neuer Familienkonstellationen, weiterer Entwicklungen bei der künstlichen Fortpflanzung und einer angestrebten Reform des Abstammungsrechts Zeit für eine ganz grundsätzliche Debatte über den sozialen Kernbestand der Gesellschaft.

So werben gleich mehrere Parteien für neue Modelle: Die Grünen für eine dritte Option im Personenstandsrecht für transsexuelle Menschen, die FDP für neue Verantwortungsgemeinschaften und die Linke dafür, dass auch vier Personen Eltern für ein Kind sein können, also in Co-Elternschaft. Der Leiter des Katholischen Büros mahnt, zumindest das Verbot der Leihmutterschaft und der Eizellspende zu erhalten. Beides gerät mit der Öffnung der "Ehe für alle" unter Druck und wird als Möglichkeit bereits von der FDP eingefordert.

Schutz des menschlichen Lebens

Damit hängt ein weiteres Kernanliegen der Kirche zusammen: Der Schutz des menschlichen Lebens von der Verschmelzung von Samen und Eizelle bis zum natürlichen Tod. Und trotz der jüngsten Regelung zu Palliativmedizin und Sterbebegleitung ist sich die Kirche bewusst, dass das Verbot aktiver Sterbehilfe mit der Alterung der Gesellschaft erneut zur Disposition gestellt wird.

Die Absicherung im Alter stellt für die katholischen Verbände "die soziale Frage des 21. Jahrhunderts" dar. Die großen Sozialverbände treten dabei für eine Erweiterung der gesetzlichen Rentenversicherung um eine weitere "solidarische Säule" ein, das "Sockelrentenmodell". Dieses soll als solidarische Bürgerversicherung alle einbeziehen und eine Mindestsicherung unabhängig von der individuellen Erwerbsbiografie bieten.

Mindestlohn auf 12,50 Euro erhöhen

Entscheidend blieb aber, dass der Einzelne sein Leben aus eigener Arbeit bestreiten kann. Dafür müsste die nächste Regierung nach Ansicht der Verbände den Mindestlohn auf 12,50 Euro erhöhen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse in reguläre umwandeln. Beim Kampf gegen die Kinderarmut in einkommensschwachen Familien plädiert der Caritasverband für einen flexibleren Kinderzuschlag sowie eine Weiterentwicklung des Ehegattensplittings unter besonderer Berücksichtigung der Kinder.

Mehr Engagement in der Entwicklungspolitik und für Frieden

Weitere Felder kirchlichen Engagements sind die Entwicklungspolitik und der Einsatz für den Frieden. Seit Jahren beklagt die Kirche, dass Waffen auch in Krisengebiete gelangen. Jüsten, der auch Vorsitzender der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung GKKE ist, spricht von einem "anhaltenden Desaster" und verlangt, dass künftig das Parlament mitentscheiden soll, in welche Länder deutschen Rüstungsgüter geliefert werden.

Die erste Forderung der Bischöfe richtet sich allerdings nicht an die Politiker, sondern an die Wähler: nämlich das Land aktiv mitzugestalten. Und das bedeutet für den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, den Münchner Kardinal Reinhard Marx, nicht nur, seine Stimme abzugeben, sondern "selbst Verantwortung für unser Gemeinwesen" zu übernehmen. Der Stützpfeiler der Demokratie sei die "aktive Beteiligung der Bürger auf allen Ebenen", so der Erzbischof. 


Karl Jüsten / © Harald Oppitz (KNA)
Karl Jüsten / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA