Ruf nach Sanktionen gegen die Türkei wird lauter

Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen?

Derzeit sind 55 deutsche Staatsangehörige wie Deniz Yücel oder Peter Steudtner in türkischer Haft oder in Polizeigewahrsam. Wie lange kann sich Deutschland das noch gefallen lassen? Für viele in der Politik ist das Maß längst voll.

Deutsche und türkische Flaggen / © Marijan Murat (dpa)
Deutsche und türkische Flaggen / © Marijan Murat ( dpa )

Nach der Festnahme von zwei weiteren Deutschen in der Türkei erwägt die Bundesregierung eine erneute Verschärfung ihres Kurses gegenüber der Türkei. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte am Freitagabend in Nürnberg, solche Festnahmen hätten "in den allermeisten Fällen keinerlei Grundlage". "Und deshalb müssen wir hier auch entschieden reagieren." Angesichts der jüngsten Ereignisse müsse die Bundesregierung ihre Türkei-Politik "vielleicht weiter überdenken".

Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen gefordert

CSU und Linke fordern in seltener Einigkeit den Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und damit auch der Milliardenhilfen der Europäischen Union für die Türkei. "Jetzt reicht's. Es ist eine Serie von Verstößen gegen europäische Grundgedanken, gegen die Rechtsstaatlichkeit", sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer den "Nürnberger Nachrichten" (Samstag). "Jeder Versuch, dies mit Diplomatie allein zu lösen, ist gescheitert. Deshalb müssen die EU und die Bundesregierung deutliche Signale setzen."

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssten gestoppt werden, die Finanzhilfen für die Vorbereitung auf diesen Beitritt dürften nicht ausgezahlt werden. Das seien 4,2 Milliarden Euro in den kommenden Jahren.

Auch Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach sich für einen Stopp der Beitrittsverhandlungen aus. "Jedes Jahr 630 Millionen Euro an einen Erpresser zu bezahlen, ist eine grobe Veruntreuung von
Steuergeldern", sagte sie der Funke Mediengruppe. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die Aussetzung der Zahlungen an die Türkei ebenfalls als Option genannt, ohne aber einen Stopp der Beitrittsverhandlungen zu fordern. Beides ist allerdings aneinander gekoppelt.

Die beiden Reisenden mit ausschließlich deutscher Staatsbürgerschaft, aber wahrscheinlich türkischen Wurzeln, waren am Flughafen des Urlaubsorts Antalya von der Polizei festgesetzt worden. Das Auswärtige Amt geht davon aus, dass sie wie zehn andere in den vergangenen Monaten inhaftierte Deutsche aus politischen Gründen festgenommen wurden.

Reisewarnung im Gespräch

Die Bundesregierung hatte bereits Mitte Juli nach der Festnahme des Menschenrechtlers Peter Steudtner ihre Türkei-Politik neu ausgerichtet und als Hauptreaktion auf die Inhaftierungen die Reisehinweise geändert. Politiker von Union, SPD, Linke und Grünen fordern jetzt eine weitere Verschärfung bis hin zu einer Reisewarnung. Diese wird ausgesprochen, wenn eine grundsätzliche Gefahr für Leib und Leben in einem Land besteht. Auf der Liste der Reisewarnungen stehen bisher nur Bürgerkriegsländer wie Afghanistan, Somalia und Syrien.

Grünen-Spitzenkandidat Cem Özdemir erklärte: "Die Zeit des Kuschelns ist vorbei." Es müsse jetzt klare Ansagen der Bundesregierung in Richtung Ankara geben: "Keine Ausweitung der Zollunion, keine Hermesbürgschaften." Und Touristen müssten ihre Reisen kostenfrei stornieren können. "Dafür braucht es die Reisewarnung." Im "Münchner Merkur" (Samstag) nannte Özdemir Erdogan einen "Geiselnehmer, der Menschen gefangen nimmt, um uns zu erpressen". Man dürfe ihm nicht sanft begegnen. "Die einzige Sprache, die er versteht, ist die Sprache des Geldes."

Der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Hardt (CDU), sagte der "Welt" (Samstag): "Sollte es sich bewahrheiten, dass die Festnahme willkürlich und ohne triftigen, rechtsstaatlichen Verfahren standhaltenden Grund erfolgte, so muss eine weitere Verschärfung der Reisehinweise ernsthaft erwogen werden."


 Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan / © Lefteris Pitarakis (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan / © Lefteris Pitarakis ( dpa )
Quelle:
dpa
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