Neue Studie zur AfD-Wählerschaft vorgestellt

Von Ängsten und Sorgen getrieben

Was bewegt Menschen, die AfD zu wählen? Dieser Frage ist eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Siftung nachgegangen - mit umfangreichen Ergebnissen. Vor allem Ängste und Sorgen spielen dabei in der Wählerschaft eine elementare Rolle.

Informationsmaterial der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt / © Matthias Bein (dpa)
Informationsmaterial der AfD-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt / © Matthias Bein ( dpa )

domradio.de: Sie haben rund 4.900 Deutsche zu ihrem Hintergrund und ihrer politischen Haltung befragt und entgegen der landläufigen Meinung, dass vor allem sozial Abgehängte die AfD wählen, sind Sie zu einem anderen Ergebnis gekommen. Zu welchem denn? Wer wählt die AfD?

Richard Hilmer (Soziologe, Wahlforscher und Co-Autor der Hans-Böckler-Studie zur AfD-Wählerschaft): Es sind zum Teil die altbekannten Strukturen. Es sind eher Männer, es sind eher die Bürger in Ostdeutschland, es sind überdurchschnittlich viele Arbeiter und auch eher Bürger mit niedriger oder mittlerer Bildung. Aber was das Einkommen anbetrifft, ist es tatsächlich so, dass sich die Struktur der AfD-Wähler relativ gleichmäßig über die Bevölkerung verteilt. Das heißt, es gibt viele Niedrigverdiener, aber eben auch viele höher Verdienende, die die AfD wählen. Der Partei ist es offenbar gelungen, die Besserverdienenden aus der Lucke-Ära zu heben.

domradio.de: Die Wirtschaft entwickelt sich gut in Deutschland und die meisten Menschen nehmen das auch so wahr. Warum gibt es trotzdem diese diffusen Zukunfts- und Abstiegsängste?

Hilmer: Das ist ganz spannend, denn auch den AfD-Wählern geht es in der großen Mehrheit genauso gut wie dem Großteil der Bevölkerung. Sie sehen auch, dass die Wirtschaft brummt und dass es ihnen selber gut geht. Aber der große Unterschied liegt in der Angst. Sie haben Angst vor der Zukunft. Sie bewerten ihre Situation insgesamt weit pessimistischer als die übrige Bevölkerung. Sie sind unzufriedener und befürchten den sozialen Abstieg. Insgesamt ist es ein bisschen eine Welt in Schwarz. Da kommt eine Reihe von Ängsten auf. Vieles wird als bedrohlich wahrgenommen - unter anderem auch die Flüchtlinge.

domradio.de: Ein Ergebnis Ihrer Studie lautet, dass nicht die tatsächliche Lebenssituation entscheidet, sondern die Sorgen um die Zukunft. Das ist eine sehr subjektive Einschätzung, der man auch nicht unbedingt mit Fakten oder politischen Versprechen begegnen kann. Ist damit nicht die Politik ein bisschen überfordert?

Hilmer: Nein, sie muss es zur Kenntnis nehmen. Es ist in der Tat so, dass das Misstrauen der AfD-Wähler nicht nur die Institutionen sondern auch die Mitmenschen, die Nachbarn betrifft. Es sind Felder, in denen Sorgen entstehen, die die Politik unmittelbar berühren, die auch andere Bürger in großer Zahl haben, wie beispielsweise die Sorge um eine sichere Alterssituation oder die Zukunft der eigenen Kinder.

Das sind diffuse Sorgen, die aber ernst genommen werden müssen. Man sollte auch schauen, was genau dahinter steckt. Zum Teil sind es bei den AfD-Wählern die Ängste um die Arbeitsplatzsituation, die zwar nicht gefährdeter ist als bei der übrigen Bevölkerung, aber wo die Digitalisierung eher als Bedrohung wahrgenommen wird und man die Gefahr sieht, die Kontrolle über diesen Bereich des Lebens zu verlieren.

domradio.de: Werden diese diffusen Ängste denn nicht auch bewusst von den Rechtspopulisten geschürt?

Hilmer: Sie haben natürlich gemerkt, dass sie davon hervorragend leben, insbesondere dann, wenn die anderen Parteien nicht oder zu wenig darauf reagieren. Wir haben ja gesehen, in dem Maße wie die Politik wieder stärker in den Diskurs gegangen ist und beispielsweise bei der Alterssicherung versucht hat, unterschiedliche Konzepte zu diskutieren oder auch den Umgang mit Kriminalität wieder verstärkt hervorgeholt hat - auch das ist eines der großen Sorge-Themen der AfD-Wähler -, erreicht sie auch wieder die Menschen und diejenigen, die sich zumindest vorrübergehend bei der AfD aufgehoben gefühlt haben. Die Umfragewerte der AfD sind zuletzt doch deutlich zurückgegangen.

domradio.de: Und die Menschen, die Sorgen und Zukunftsängste haben, glauben, dass die AfD ihnen diese nehmen kann?

Hilmer: In manchen Bereichen sind sie da durchaus überzeugt von. Da gibt es auch gewisse Kompetenzzuschreibungen, etwa was die Begrenzung der Flüchtlingszahlen anbetrifft. In anderen Bereichen ist ihnen das relativ egal. Da nehmen sie die Positionen der AfD zum Teil überhaupt nicht wahr, gerade was die Wirtschafts- und Sozialpolitik anbetrifft, die ja zum Teil einen recht liberalen Hauch hat. Das müsste eigentlich gerade die unteren Einkommensschichten bei der AfD eher schrecken. Aber das spielt offensichtlich gar keine Rolle, denn die Treiber sind die diffusen Ängste, ausgelöst vor allen Dingen durch die Zuwanderung. Da ist die Möglichkeit AfD zu wählen, für viele dieser Wähler schlicht und einfach eine Möglichkeit, Protest zu wählen.

Natürlich gibt es auch zahlreiche Wähler, die ein relativ geschlossenes, autoritäres Weltbild haben, egozentrisch unterwegs sind und auch - was die eigenen Wahrnehmung Deutschlands anbetrifft - sehr chauvinistisch denken. Da wird es natürlich schwierig, diese Menschen zu erreichen.

domradio.de: Sie haben auch nach dem Wert der Religiosität gefragt und in Zusammenhang gebracht mit der Neigung, rechts zu wählen. Was haben Sie da herausgefunden?

Hilmer: Wir haben die Werte, die wir im Jahr 2006 bereits in der sogenannten Prekariatsstudie abgefragt haben, wiederholt. Es zeigt sich ein ziemlich profunder Wertewandel. Gestiegen ist die Bedeutung des Items "Verantwortung für sich selbst übernehmen". Die Leute fühlen sich stärker auf sich selbst zurückgeworfen. Andere Werte haben abgenommen, insbesondere Solidarität, auch die mit der nächsten Generation, Weltoffenheit und Toleranz. Das sind alles Werte, die eher reziprok sind, bei denen man also auch etwas zurückbekommen will, wenn man etwas gibt.

Der Wert, der am stärksten nachgelassen hat, ist leider Religion, Religiosität und Glaube. Im Jahr 2006 war das noch für gut die Hälfte der Bürger sehr wichtig, heute gerade einmal noch für ein Drittel.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR
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