Kultur, Konfession, Kommunikation: Konsequenzen des EU-Austritts

Wie verändert der "Brexit" die europäische Gesellschaft?

Großbritannien will die EU verlassen. Das hätte Auswirkungen auf das kulturelle, politische und religiöse Gleichgewicht. Eine Prognose zum Profil einer EU der 27.

Autor/in:
Franziska Broich
 (DR)

Wenn Großbritannien der EU den Rücken kehrt, hat das nicht nur Konsequenzen für den Handel. Es verändert auch das sprachliche, religiöse und kulturelle Gleichgewicht in der europäischen Gemeinschaft. Artikel 22 der EU-Grundrechtecharta schützt ausdrücklich die "Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen".

Unter dem Aspekt der Religionszugehörigkeit könnte man bei einem möglichen "Brexit" auch von einem "Prexit" sprechen. Denn mit einem Ausscheiden der Briten aus der EU würden auch viele Protestanten die Union verlassen. Die EU-Länder, in denen überwiegend protestantische Christen leben, werden weniger: Dänemark, Schweden, Finnland, Estland und Lettland. Einen solchen "Prexit" könnte man im Umkehrschluss so deuten, dass die EU katholischer wird. Bereits jetzt stellen Katholiken mehr als die Hälfte der EU-Bevölkerung. In jedem der 28 EU-Mitgliedstaaten sind sie vertreten, wenn auch in einigen nur als kleine Minderheit.

Religiöse Vielfalt schwindet?

Mit einem "Brexit" würde ein Teil der religiösen Vielfalt schwinden, denn Großbritannien vereint viele Weltanschauungen. Neben etwa 300.000 Juden und 2,7 Millionen Muslimen leben hier laut einer Erhebung der Statistikbehörde Eurostat von 2012 auch etwa 817.000 Hindus, 423.000 Sikhs und ein bis vier Millionen Buddhisten.

Im Europaparlament blieben mit einem Austritt des Vereinigten Königreichs 73 Sitze leer. Die Briten sind nach den Deutschen und Franzosen die drittgrößte Gruppe im EU-Parlament. Entsprechend hätte ihr Verlassen auch große Auswirkungen auf die Fraktionen. Die Fraktion der "Europäischen Konservativen und Reformer" (EKR) verlöre 19 Abgeordnete und damit ihren Status als drittgrößte Kraft im Parlament. Die polnischen Abgeordneten wären dann die größte nationale Gruppe in der EKR-Fraktion. Zudem müsste sie einen neuen Vorsitzenden wählen.

Eine neue Kräfteverschiebung?

Dies wäre auch in der Fraktion "Europa der Freiheit und der direkten Demokratie" (EFDD) der Fall, deren Präsident der EU-Gegner Nigel Farage ist. Sie würde zur schwächsten Kraft im Parlament nach Marine Le Pens Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF). In der EFDD würden die Italiener künftig die größte nationale Gruppe stellen. Politisch würde der Austritt Großbritanniens also zu einer Kräfteverschiebung von Nord- nach Süd- und Osteuropa führen.

Wie ist das mit der Muttersprache Englisch?

An der Sprachenvielfalt würde ein Brexit wenig ändern. Laut der EU-Kommission bliebe Englisch auch im Fall eines Austritts Großbritanniens offizielle Amtssprache der EU. Eine Änderung müsste der Rat einstimmig beschließen. Das gilt jedoch als unwahrscheinlich, da Englisch auch offizielle Landessprache in Irland und Malta ist. Auch ein Großteil der Kommunikation in den EU-Institutionen läuft auf Englisch ab.

Den Status einer der drei meistgesprochenen Muttersprachen in der EU würde Englisch jedoch wahrscheinlich verlieren. Belegte es laut einer Eurobarometer-Umfrage von 2012 gemeinsam mit Italienisch noch Platz zwei nach Deutsch, wird es nun wahrscheinlich vom Französischen überholt.

Was passiert mit den Kulturikonen?

Auch kulturell ginge der EU mit einem "Brexit" einiges verloren. 27 Gebäude, Orte und Landschaften in Großbritannien stehen auf der Weltkulturerbeliste der Unesco: darunter etwa der Steinkreis von Stonehenge, die Kathedrale von Canterbury mit der Abtei Sankt Augustin und der Sankt-Martins-Kirche sowie die Grenze des Römischen Reichs, der Hadrianswall zwischen Newcastle und Solway Firth. Mit Großbritannien verlöre die EU darüber hinaus auch eine breite Palette von Kulturikonen. William Shakespeare, die Beatles, Rowan Atkinson als Mr. Bean oder die mehrfache Grammy-Gewinnerin Adele sind nur einige Beispiele.

Dass die vielfältigen kulturellen und geistigen Bande auch künftig beibehalten, genutzt und ausgebaut werden, wünscht sich der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Reinhard Marx. Er betont: "Europa ist mehr als die Europäische Union."


Quelle:
KNA