Adenauer und der rheinische Katholizismus

Karneval statt Hitler-Treffen

Konrad Adenauer gilt als die prägende politische Gestalt der Nachkriegszeit - und er war ein tiefgläubiger Mensch. Der Autor Wolfgang Koch hat sich mit dem Glauben des großen Politikers befasst und zeigt im Interview die zwei Seiten Adenauers.

Konrad Adenauer auf dem Katholikentag 1956 in Köln / © N.N. (KNA)
Konrad Adenauer auf dem Katholikentag 1956 in Köln / © N.N. ( KNA )

domradio.de: In Rhöndorf bei Köln, also in Konrad Adenauers Heimat, gab es anlässlich seines 50. Todestages einen Festgottesdienst zu seinen Ehren mit dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Wie wurde Adenauers Erbe denn da gewürdigt?

Prof. Wolfgang Koch (Buchautor): Der Kardinal wies gleich zu Beginn darauf hin, dass Adenauer jeden Sonntag in der Pfarrkirche in Rhöndorf - wenn er denn zugegen war - am heiligen Messopfer teilgenommen hat. Wenn er nicht in Rhöndorf war, hat er anderswo am heiligen Messopfer teilgenommen. Es bestand also eine tiefe Verbundenheit Adenauers mit der heiligen Eucharistie und dem gelebten Glauben der Kirche. Das kam in dem Festgottesdienst ganz gut zum Ausdruck.

Natürlich hat Kardinal Woelki auch einen größeren Bogen geschlagen und auch den Politiker gewürdigt, der unser Land so stark geprägt hat. Der Kölner Erzbischof hat aber immer den Bezug dazu hergestellt, dass Adenauer tief in einem gelebten Glauben verwurzelt war. Kardinal Woelki hat auch auf den Höhepunkt der Kanzlerschaft hingewiesen, nämlich die Befreiung der Kriegsgefangenen 1955 in Moskau, als er sich in die Höhle des Löwen aufgemacht hat und einen großen Erfolg errungen hat.

Kardinal Woelki hat aber auch darauf hingewiesen, was die Grundlagen dieses Erfolges waren. Es war nämlich eine tiefe Gebetsvorbereitung. Er wies darauf hin, dass Adenauer eine Nacht lang  im Gebet in der Schweiz verbracht hat und dass ein Männerbund während der Zeit, in der er in Moskau war, vor dem Allerheiligsten gebetet habe. Er erwähnte, dass Adenauer sogar in Moskau sonntags in die Kirche ging und wies darauf hin, dass Adenauer in der Nacht vor der entscheidenden Verhandlung in der französischen Botschaft vor einer Fatima-Madonna gebetet habe. Es bestand also eine Verbindung aus gelebtem Glauben und einer sehr konkreten Politik mit sehr erfolgreichen Ergebnissen.

domradio.de: Sie haben ein Buch über die die christlichen Grundlagen seines Denkens geschrieben. Welche Gedanken zum Christentum Adenauers halten Sie für besonders bemerkenswert?

Koch: Es ist das gelebte Christentum. Von seinem jüngsten Sohn, Georg Adenauer, weiß man, dass er ihn gelegentlich in seinem Arbeitszimmer an einem Gebetsschemel betend überraschte. Adenauer hat seine Reden an einem Schreibtisch mit dem Blick auf eine Kreuzigungsdarstellung verfasst. Auf dem Schreibtisch befand sich eine wunderbare Medaille. Ich glaube, die Besonderheit Adenauers liegt nicht so sehr in einer theoretischen Analyse des Glaubens, wie auch in einer christlichen Soziallehre, die er theoretisch gegründet und verbreitet hat, sondern vielmehr darin, dass ein Politiker, der aus dem Glauben, aus dem Gebetsleben heraus seine Entscheidungen getroffen und entsprechend gehandelt hat. Diese Unmittelbarkeit des Glaubens in Verbindung mit großem Pragmatismus, großem Realismus und Machtbewusstsein - wenn es sein musste, um Ziele zu verfolgen -, hat sehr beeindruckt.

domradio.de: Während des zweiten Weltkriegs versteckte er sich zeitweise in der Benediktinerabtei Maria Laach. Wie sehr hat ihn das geprägt?

Koch: Es war für Adenauer in erster Linie eine Begegnung mit dem benediktinischen Mönchtum, mit dem gregorianischen Choral und mit der Liturgie, die er so in Köln noch nicht erlebt hat. Diese schwere Zeit, die harte Zeit der Trennung war für ihn auch eine Zeit der religiösen Reifung und des Sich-Zurückbesinnens auf das Eigentliche und Wesentliche des Christentums.

Sein Sohn Paul hat ihn in der Zeit oft besucht und für seinen Sohn Paul ist während dieser Zeit auch der Gedanke gereift, Priester zu werden. Zwischen den beiden, Vater Konrad und Sohn Paul Adenauer, gibt es auch ein besonderes Verhältnis. Insofern kann man sagen, die Wiedergeburt Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg hat eine Wurzel in der Stille des Klosters von Maria Laach. Als Adenauer starb, bat er seinen Sohn Paul, ihm die alten lateinischen Gesänge vorzusingen. Eine sehr berührende Szene.

domradio.de: Das Ende von Adenauers Kanzlerschaft fiel zusammen mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das eine Öffnung der Kirche einleitete. Wie stand Adenauer denn dieser Entwicklung gegenüber?

Koch: Adenauer war sehr skeptisch. Die Wurzel seiner Skepsis liegt darin, dass er dem heiligen Johannes XXIII. keine große politische Klugheit zutraute. Es ist die Frage, ob ein heiliger Papst ein politisch kluger Mann sein muss. Vielleicht schon. Diese große Skepsis, dass hier unkluge Entscheidungen getroffen werden, stand am Anfang. Er verfolgte dann mit großer Sorge, dass man die Traditionen leichtfertig aufgab.

Eine sehr bewegende Szene spielte sich auch noch am Ende seines Lebens ab, als er von Oskar Kokoschka gemalt wurde. Diese beiden alten Männer unterhalten sich über das Zweite Vatikanum. In dieser Zeit als die Männer sich nahekommen, wird auch Adenauers Sorge lebendig, dass in den großen Herausforderungen, die die Zeit mit sich bringt, den Menschen das genommen wird, was ihnen vielleicht Halt geben kann. In den Tagebüchern des Sohnes Paul Adenauer, die erst kürzlich herausgekommen sind, kommt dieser Gedanke der Skepsis noch viel deutlicher zum Ausdruck.

domradio.de: Keiner symbolisierte den rheinischen Katholizismus so sehr wie Adenauer. Welche Eigenarten Adenauers waren das eigentlich, die den rheinischen Katholizismus ausmachen?

Koch: Es sind vielleicht zwei Aspekte. Ein ernsthafter Aspekt ist die Verwurzelung in der alten Tradition Kölns, der Stadt, in der Thomas von Aquin studiert hat, der Stadt des Kölner Doms, in einer Stadt, die in besonderer Weise das christliche Abendland verkörpert. Das hat für ihn natürlich den rheinischen Katholizismus ausgemacht. Wer von rheinischem Katholizismus spricht, muss aber natürlich auch vom Karneval sprechen. Konrad Adenauer war eine Frohnatur, überaus humorvoll, witzig und schlagfertig. Dieser rheinische Karneval, der aus dem rheinischen Katholizismus notwendig erwächst, half ihm auch in politischen Situationen.

Als Hitler einmal nach Köln kam bevor er Reichskanzler war, hat er sich entschuldigen lassen. Er habe einen wichtigen Termin, ließ er ausrichten. Als Hitler dann herausgefunden hat, dass der Termin eine Karnevalssitzung war, reagierte er äußert böse. Das kennzeichnete Adenauer vielleicht: eine ernsthafte Seite und eine humorvolle Seite.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR