Terror und Hass setzen die Gesellschaft unter Druck

Spirale ohne Ende?

Kriege und Konflikte halten die Welt in Atem; politisch gerät spätestens seit dem Brexit und der Trump-Wahl einiges ins Wanken. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig. Nicht einschüchtern lassen, raten Experten.

Autor/in:
Paula Konersmann
Noch viele offene Fragen nach dem Anschlag in London / © Tim Ireland (dpa)
Noch viele offene Fragen nach dem Anschlag in London / © Tim Ireland ( dpa )

Carolin Emcke sprach vielen Menschen aus der Seele. Sie habe es nicht für möglich gehalten, dass zu ihrer Lebzeit "jemals wieder öffentlich so entgrenzt gehasst werden könnte", sagte die Publizistin dem "Spiegel". Kurz darauf nahm sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegen. Einige Tage später gewann Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten.

Terror in Europa, rechtspopulistische Stimmungsmache, eine auseinanderdriftende Europäische Union: All das gibt Anlass zur Sorge. Und tatsächlich fühlen sich zahlreiche Menschen von der Weltlage bedrängt. So verzeichnete die Kölner Telefonseelsorge nach der Trump-Wahl viele Anrufe zu dem Thema. Die Unberechenbarkeit des mächtigsten Mannes der Welt mache vielen Angst, sagt Leiterin Annelie Bracke.

Angst gegen Zusammenhalt

Zugleich mehren sich die Appelle, sich gerade nicht einschüchtern zu lassen. So warben nach dem Terroranschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin Politiker und Kirchenvertreter für mehr Zusammenhalt. Auch der Psychiater Borwin Bandelow rät, "so weiter zu leben wie bisher".
Dies sei nicht nur wichtig, um den Terroristen zu zeigen, dass ihr Plan nicht aufgehe, sondern auch, um die eigene Angst zu bekämpfen. Nach dem jüngsten Anschlag in London dürfte diese Empfehlung weiterhin gelten.

Allerdings bringen solche Ereignisse die "gefühlte Sicherheitslage" ins Wanken. Das beobachtet der Trauma-Experte Christian Lüdke. "Wir werden viel schneller und über viel mehr Kanäle informiert, Fluten von Bildern erreichen uns in Echtzeit", erklärt er. "Dadurch rücken die Themen näher an die Menschen heran, sind konkreter und eindringlicher."

Viele Informationen können zu viel Angst führen

Wer einen Terroranschlag, einen Amoklauf oder Flugzeugabsturz im Liveticker verfolgt, fühlt sich stärker betroffen als jemand, der erst durch die Zusammenfassung in den Abendnachrichten davon erfährt. Doch sich dem Sog der Berichterstattung zu entziehen, ist schwierig. Diese Erfahrung beschreibt die französische Schriftstellerin Gila Lustiger in ihrem Essay "Erschütterung", der nach den Pariser Anschlägen im November 2015 entstand. "Live-ticker-süchtig" sei sie gewesen, schreibt die Autorin, und sie habe "unnatürlich viel ferngesehen". Dabei nützen Detailinformationen etwa über die Anzahl der verschossenen Salven dem Einzelnen rein gar nichts, so Lustiger:
"Die Spirale endete nirgendwo".

Die klassischen Medien sind daher gefordert, sich immer wieder auf alte Qualitäten zu besinnen. "Weniger und dafür gesicherte Informationen wären mehr", mahnt etwa Psychologe Lüdke. Zugleich aber sitzt im Weißen Haus ein Mann, der die Medien per se als Opposition betrachtet. Auch in Deutschland wandelt sich die Kommunikation zwischen Politikern, Journalisten und Bürgern. "Während Onlinemedien hektisch Eilmeldungen ins Land blasen, schicken Politiker ihre Botschaften schon kurz danach über Twitter oder Facebook Live - und versuchen, die Deutungshoheit zu besetzen", schreibt der Filmemacher Stephan Lamby im aktuellen "medium magazin".

Lamby hat Spitzenpolitiker und Redaktionen mehrere Monate lang begleitet und daraus eine TV-Dokumentation erstellt. Er hält die Entwicklung für gefährlich. In der "maximal reduzierten Kommunikation" fehle genau das, was den Journalismus relevant für eine demokratische Öffentlichkeit mache: "Recherche, Analyse, Kritik. Wohin das führen kann, zeigt Donald Trump der Welt seit Monaten."

Keine Sorge um Demokratie

Sorge um die Demokratie hat Psychologe Lüdke dennoch nicht. Kleine Schritte können seiner Einschätzung nach viel bewegen - etwa das Engagement in Bürgerinitiativen oder Hilfsorganisationen. "Wenn das viele Menschen machen, hat es in der Summe durchaus spürbare Konsequenzen, die Politiker nicht ignorieren können."

Entsprechend groß ist die Nachfrage: An den wöchentlichen Kundgebungen der Bürgerinitiative "Pulse of Europe" nahmen zuletzt jeden Sonntag mehr Menschen teil. Auch ein Caritas-Projekte gegen Alltagsrassismus im Bistum Essen sorgte bundesweit für Aufsehen; mehrere Städte stellen nun ähnliche Angebote auf die Beine. Ein kirchlicher Wohlfahrtsverband, sagt ein Sprecher, habe auch die Aufgabe, ein Zeichen gegen Hass, Gewalt und Intoleranz zu setzen.


Quelle:
KNA