Menschenrechtlerin Bautista über jüngste Mordserie an Aktivisten in Kolumbien

"Der Frieden präsentiert uns seine Rechnung"

Mit Blick auf die jüngsten Tötungen von Menschenrechtlern ruft sie die internationale Staatengemeinschaft zu erhöhter Wachsamkeit auf. Es gebe "noch keinen Frieden in Kolumbien", sagt Yanette Bautista im Interview.

Yanette Bautista, kolumbianische Menschenrechtsaktivistin / © Tobias Käufer (KNA)
Yanette Bautista, kolumbianische Menschenrechtsaktivistin / © Tobias Käufer ( KNA )

KNA: Frau Bautista, es kursieren mit Blick auf die jüngste Mordserie gegen Menschenrechtler und Aktivisten unterschiedliche Zahlen in Kolumbien. Die Regierung spricht unter Berufung auf die Vereinten Nationen von 60 Todesopfern, Menschenrechtsorganisationen gehen von mehr als 100 aus. Was ist denn nun richtig?

Yanette Bautista (kolumbianische Menschenrechtsaktivistin): Es gibt keine offizielle Statistik. Das ist ein wirkliches Problem. Zudem haben die Organisationen, die im Bereich der Menschenrechte arbeiten, keinerlei Vertrauen zu den staatlichen Institutionen. Die Menschenrechtler in Kolumbien vertrauen lieber sich selbst und ihrem Netzwerk «Somos Defensores». Zudem gibt es unterschiedliche Auffassungen über die Definition, was und wer ein «Verteidiger der Menschenrechte» ist. Für uns zählen auch Gewerkschafter, Arbeiter, Kleinbauern, Indigene und Opfer des bewaffneten Konfliktes dazu, die für sich die Rechte der Allgemeinheit einsetzen. Wir in unserem Netzwerk kommen im Zeitraum von 2016 bis 2017 auf eine Zahl von über 100 ermordeten Aktivisten und Menschenrechtlern.

KNA: Diese Zahlen sind erschreckend hoch. Wie kann das sein in einem Land, in dem gerade erst ein weltweit beachteter Friedensvertrag zwischen der Regierung und der Guerilla-Organisation FARC unterschrieben wurde?

Yanette Bautista: Der Kampf für die Menschenrechte berührt eben auch die Interessen von Unternehmern, von Militärs, Politikern oder Großgrundbesitzern. Viele der Mordopfer haben in ihrem Engagement für die Menschenrechte unbequeme Fragen gestellt und waren in Konflikten um Landbesitz und Landrückgabe involviert oder berührten die Interessen von paramilitärischen Banden - was in Kolumbien häufig gleichbedeutend ist. Besonders besorgniserregend ist, dass diejenigen, die hinter den Morden stecken, fast immer ungestraft davonkommen und nicht mit einem einzigen Tag im Gefängnis für die Morde bezahlen.

KNA: Der kolumbianische Verteidigungsminister erklärte jüngst, er könne keine Systematik hinter den Morden erkennen...

Yanette Bautista: Wenn die Mordfälle isoliert dargestellt werden, dann wird verhindert, dass das ganze System dahinter untersucht wird. Mit den Äußerungen der Regierung wird die tatsächliche Wahrheit versteckt, da macht der aktuelle Verteidigungsminister leider keine Ausnahme. Das Vertuschen der Realität hat leider eine große Tradition in Kolumbien.

In erinnere an den ehemaligen Präsidenten Alvaro Uribe, der mal behauptet hat, es gebe gar keinen bewaffneten Konflikt mehr und der Paramilitarismus sei besiegt. All das gehört zu der Strategie, dass die Regierung versucht, ihr Gesicht vor der internationalen Gemeinschaft zu wahren.

KNA: Wie passt das alles zusammen mit den vielen Berichten über den neuen Frieden in Kolumbien?

Bautista: Der Frieden präsentiert uns seine Rechnung. All die Toten, all die Verschwundenen, die Drohungen und die Verfolgungen sind der Preis, den wir Menschenrechtler für diesen Friedensprozess zu bezahlen haben. Die Unterschrift unter einen Friedensvertrag bedeutet ja nicht, dass damit automatisch alle Ursachen und Strukturen beseitigt wurden, die zu dem internen Konflikt geführt haben. Wir befinden uns auch nicht im Postkonflikt, wie es so schön heißt, sondern in einem Übergang dahin. Es gibt immer noch viel zu viele Waffen im Land.

KNA: Sie gehören also nicht zu den vielen Schriftstellern, Analysten oder Wissenschaftlern, die optimistisch in die Zukunft blicken?

Yanette Bautista: Um ehrlich zu sein: Ich habe Angst, große Angst. Weil vieles an die Zeit nach den Bürgerkriegen zum Beispiel in Guatemala oder in El Salvador erinnert. Wir beobachten zum Beispiel derzeit in Kolumbien, dass vor allem Mädchen und Frauen gezielt Opfer der Gewalt und Unterdrückung werden. Das ist sehr erschreckend, geht aber in der allgemeinen Wahrnehmung völlig unter.

KNA: Und welche Forderungen haben Sie, damit die Gewalt gegen Menschenrechtler endlich aufhört?

Yanette Bautista: Es ist ganz wichtig, dass die Augen der Weltöffentlichkeit weiterhin auf Kolumbien gerichtet sind, damit diese Gewalt nicht unbeobachtet bleibt. Es gibt noch keinen Frieden in Kolumbien. Wir fordern, dass das, was im Friedensvertrag steht, auch umgesetzt wird. Es ist wichtig, dass die Menschenrechtler ihre Arbeit machen können. Die Morde, die Drohungen, die Vorurteile müssen aufhören, die Suche nach den Verschwundenen muss erfolgreich zu Ende geführt werden.

KNA: Sind Sie derzeit eher optimistischer oder pessimistischer als vor einem Jahr?

Yanette Bautista: Ich will nicht die Hoffnung verlieren, denn wir haben uns in den vergangenen Jahren intensiv einbringen können, zum Beispiel als Opfervertreter am Verhandlungstisch, aber auch im Werben für den Frieden. Aber um ehrlich zu sein: Ich habe sehr große Angst angesichts dessen, was hier jeden Tag passiert, angesichts des vielen Blutes, das wieder vergossen wird.

Das Interview führte Tobias Käufer


Quelle:
KNA