Der Historiker Friso Wielenga zur Parlamentswahl in den Niederlanden

"Natürlich atmen wir auf"

In den Niederlanden hat der Rechtspopulist Geert Wilders weniger Stimmen bekommen als befürchtet. Auf die Wahl in Deutschland habe das Ergebnis aber keinen Einfluss, meint der Historiker Friso Wielenga. Er erwartet eine schwierige Regierungsbildung. 

Aktivisten in Berlin danken den Wählern in den Niederlanden / © Paul Zinken (dpa)
Aktivisten in Berlin danken den Wählern in den Niederlanden / © Paul Zinken ( dpa )

domradio.de: Es wird ja gerne der Fußball-Vergleich herangezogen und die Wahl als Viertelfinale bezeichnet. Halbfinale wäre dann Frankreich, das Finale Deutschland. Auch diese beiden Länder müssen ihre freien und offenen Gesellschaften bestätigen. Finden Sie diesen Vergleich gelungen?

Prof. Dr. Friso Wielenga (Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster): Ich finde es ein bisschen übertrieben. Es ist ein Vergleich, den Rutte ins Spiel gebracht hat. Ich würde tatsächlich sagen, die Wahlen in Frankreich und Deutschland sind wichtiger. Aber ich finde es ein bisschen übertrieben, zu sagen, dass die Niederlande die Welt des Populismus schonmal ein bisschen gestoppt haben. Die Wahlen in Frankreich und Deutschland sind weitgehend unabhängig von dem, was in den Niederlanden passiert. Natürlich atmen wir auf, dass Wilders da hängengeblieben ist, wo er übrigens auch prognostiziert wurde. Denn das Problem ist, Wilders ist in der Presse viel, viel größer gemacht worden, als er ist.

domradio.de: Diese hohe Wahlbeteiligung  - von 77 Prozent ist die Rede - wofür ist das ein Signal?

Wielenga: Es ist ein Signal dafür, dass wir in den Niederlanden eine lebhafte Debatte geführt haben, dass der Wahlkampf auch lebhaft und gut war - vor allem übrigens auch, weil Wilders weitgehend abwesend war. Er stand in den Medien permanent im Zentrum der Aufmerksamkeit. Aber, weil er im Wahlkampf in den Niederlanden weitgehend weg war, konnten die anderen Parteien gut miteinander über Inhalte debattieren. Das hat sicherlich auch zu der hohen Wahlbeteiligung geführt. Sicherlich mag auch der ein oder andere gedacht haben: Wir müssen auf jeden Fall aufpassen, dass Wilders nicht zu groß wird.

domradio.de: Jetzt zeigt die Hochrechnung Ministerpräsident Rutte mit seiner VVD auf dem ersten Platz, dann folgen die Partei von Wilders, PVV, und nur kurz dahinter die konservative CDA und die linksliberale D66 - alles sehr knapp. Was bedeutet das für die Regierungsbildung?

Wielenga: Das bedeutet, dass die Regierungsbildung tatsächlich nicht sehr einfach wird. Obwohl man gleichzeitig auch sagen kann: Wenn man jetzt die VVD von Rutte nimmt, die Christdemokraten und die Linksliberalen, dann sind die zusammen schon fast bei 67 Sitzen - 67 ist die Mehrheit im niederländischen Parlament. Die brauchen dann nur noch eine Partei - das werden wahrscheinlich die Grünen sein, aber es gibt auch noch ein paar andere Möglichkeiten.

Tatsächlich werden wir eine Vier-Parteien-Koalition bekommen. Aber es gibt auch schon Erfahrungen mit Mehr-Parteien-Koalitionen. Insofern ist es nicht ganz neu. Neu ist aber, dass wir keine großen Parteien mehr haben. Wenn jetzt eine Partei mit 21,3 Prozent auch die größte Partei ist, ist das natürlich eine weitergehende Zersplitterung der Parteienlandschaft.

domradio.de: Ein großes Thema waren ja die Differenzen mit der Türkei vor der Wahl, und auch dort kommentiert man das Wahlergebnis - die Bewertung fällt überwiegend anders aus als in anderen Ländern: Der türkische Außenminister sagt, zwischen dem Faschisten Wilders und den Sozialdemokraten gebe es überhaupt keinen Unterschied. und: "Sie werden Europa zum Kollabieren bringen, sie werden Europa an den Abgrund bringen. Bald wird in Europa ein Krieg der Religionen ausbrechen. Wenn die Europäer nur ein Gramm Schamgefühl hätten, könnten sie sich nicht mehr selbst ins Gesicht sehen." Welche Wirkung mögen solche Äußerungen haben auf niederländische Politiker?

Wielenga: Die niederländischen Politiker hören das und sind entsetzt über diese Bemerkungen. Wenn das nicht so traurig wäre, müsste man eigentlich drüber lachen. Solche Äußerungen sind eigentlich fast wie in einem Kabarett.

Irgendwann - wahrscheinlich nach dem Referendum in der Türkei - wird das Klima vielleicht ein bisschen ruhiger werden. Ich glaube, die Türkei braucht jetzt auch ein bisschen diesen Krawall, um zu zeigen, dass sie sehr stark und kräftig ist und um noch mehr Leute für das Referendum hinter Erdogan zu bekommen. Aber sehr ernst kann man das natürlich nicht nehmen.

domradio.de: Kommentare aus der rechten Ecke gibt es aus Deutschland. AfD-Chefin Frauke Petry sagt zum Wahlergebnis, dass Rutte nur durch den Konflikt mit der Türkei gewonnen habe. Die Wähler wünschten sich rechte Positionen wie von Wilders, hätten aber Angst vor dessen Wortwahl. Ist da was dran?

Wielenga: Das ist natürlich ein netter Versuch, die Ergebnisse von Wilders zu erklären. Ich glaube nicht, dass das eine richtige Analyse ist. Rutte wird ein bisschen von seiner klaren Haltung in der Türkei-Krise profitiert haben. Aber es spielen ganz viele andere Sachen eine Rolle. Zum Beispiel, dass Rutte klar Stellung zu Wilders bezogen hat.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR