Parteien entdecken im Wahljahr den ländlichen Raum

Heimat und Identität

Die einen denken an gesundes Leben, Natur und Idylle. Die anderen an Landflucht, Ärztemangel und sterbende Dörfer. Der ländliche Raum wird im Wahljahr zum Thema - nicht zuletzt dank Donald Trump.

Autor/in:
Christoph Arens
Rapsfeld in Hessen / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Rapsfeld in Hessen / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

Kühe, Weiden, Provinz: Den Traum vom idyllischen Leben auf dem Land gibt es nicht nur in Hochglanzmagazinen. Immer noch leben zwei Drittel der Deutschen im ländlichen Raum. Die Realität allerdings sieht manchmal recht trostlos aus. Viele Dörfer leiden unter Bevölkerungsschwund und den Auswirkungen des demografischen Wandels.

Ein Thema für das Wahljahr 2017: "Heimat wird nie unmodern! Deshalb kümmern wir uns als CDU schon lange um ländliche Räume und Identität" twitterte Kanzleramtsminister Peter Altmaier mit Blick auf die Wahlen im Saarland am 26. März. Die Bundes-CDU will das Bundeslandwirtschafts- und Ernährungsministerium in ein "echtes Lebens- und Heimatministerium" umbauen. Und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) kündigte eine Grundgesetzänderung an, mit der eine ganzheitliche Förderung ländlicher Regionen erreicht werden soll.

Wählerpotential auf dem Land

Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bekundet Sympathien für die vielfach abgehängten Regionen: Die Menschen auf dem Land hätten die gleichen Rechte gegenüber dem Staat wie die Bewohner von Ballungsgebieten, erklärt er. Grüne und Linke haben bereits Vorschläge zur Stärkung des ländlichen Raums vorgelegt.

Die Ankündigungen kommen nicht von ungefähr: Wahlforscher in den USA gehen davon aus, dass es auch die sich abgehängt fühlenden Menschen auf dem Land waren, die zum Wahlsieg von Donald Trump beigetragen haben. In Deutschland könnte eine ähnliche Entwicklung drohen.

Dass sich etwas zusammenbrauen könnte, bestätigt der als "Dorf-Papst" bezeichnete Humangeograf Gerhard Henkel. Es gebe in vielen ländlichen Räumen einen massiven Vertrauensverlust gegenüber den staatlichen und kirchlichen Zentralen, sagt der frühere Professor an der Universität Duisburg-Essen. Brandenburg und Thüringen etwa legten derzeit in einer zweiten Welle von Gebietsreformen Kreise und Gemeinden zusammen. Kirchen, Sparkassen und Krankenhäuser täten es ihnen gleich.

Wut und Apathie

"Das erzeugt Wut und Apathie", hat der Wissenschaftler auf Bürgerversammlungen erfahren. Menschen, die sich vor Ort engagierten, würden vor den Kopf gestoßen. Landbewohner müssten weite Wege zu Rathäusern, Behörden und Geschäften in Kauf nehmen. Die Zahl der Wutbürger und Protestwähler nimmt zu.

Für die Architektin Kerstin Faber sind es vor allem die Überalterung und die Landflucht junger Menschen, die der ländlichen Region zu schaffen machen. Junge Menschen zögen nach Ausbildung oder Studium vermehrt in die Städte - weil "sie dort eben ihre Szenen finden, die sie suchen", sagte die Mitherausgeberin des Buches "Raumpioniere in ländlichen Regionen" kürzlich im Deutschlandfunk. Ein Teufelskreis: Weil die Jüngeren wegziehen, werden Kindergärten, Krankenhäuser, Gasthöfe und Schulen geschlossen. Läden und Arztpraxen machen dicht, der öffentliche Nahverkehr wird zurückgefahren.

Neue Arbeitsplätze?

Für Faber und Henkel ist das allerdings kein Naturgesetz. Internet und Energiewende könnten durchaus dazu führen, dass auf dem Land wieder neue Arbeitsplätze entstehen. Das Land könne die Energieproduktion wieder mehr in die eigene Hand nehmen, etwa durch Windkraftanlagen, Solarenergie, Biogas und Energiepflanzen, sagt Henkel. Auch die Digitalisierung biete Chancen - vorausgesetzt, dass leistungsfähige Internetverbindungen da sind. Faber verweist auch auf den teuren Wohnraum in den Städten. Gerade für junge Familien könne es deshalb wieder attraktiver werden, aufs Land zu ziehen.

Faber sieht die Bewohner gefordert: "Sie können sich durchaus demokratisch organisieren. Sie müssen nicht damit einverstanden sein, dass das passiert." Gefragt sind kreative Ideen für eine Trendwende: Bürger könnten Schulen selbst gründen, Genossenschaften könnten Dorfläden aufbauen und alternative Energien vermarkten, schreibt Faber. Bürgerbusse schließen Lücken im öffentlichen Nahverkehr.

Konkrete Vorstellungen hat auch schon die CDU formuliert: Sie plant Sonderabschreibungen für Modernisierung und Kauf von Wohnungen in Abwanderungsgebieten, eine Landarztquote und den Internet-Breitbandausbau. Vorgesehen ist auch, das Mindestalter für den Autoführerschein auf 16 Jahre zu senken, damit junge Erwachsene leichter Schule oder Berufsschule erreichen.


Wahllokal / © Britta Pedersen (dpa)
Wahllokal / © Britta Pedersen ( dpa )
Quelle:
KNA