Moraltheologe zur Kritik an Martin Schulz

"Küchentopf-Psychologie"

Was will Martin Schulz? Bisher reichen dem Hoffnungsträger der SPD einige linke Schlagworte, um die Union das Fürchten zu lehren. Dabei bestellt er nur sein politisches Feld, wie Moraltheologe Peter Schallenberg bei domradio.de konstatiert.

Martin Schulz / © Harald Tittel (dpa)
Martin Schulz / © Harald Tittel ( dpa )

domradio.de: Martin Schulz will die Hartz IV-Gesetze umbauen, jene Arbeitsmarktreform, die die SPD selbst zusammen mit den Grünen unter Kanzler Schröder 2005 eingeführt hatte. Unter anderem will er dafür sorgen, dass ältere Arbeitslose länger Arbeitslosengeld I erhalten. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat und dann mit über 50 seinen Job verliert, bekommt nach einem, maximal zwei Jahren, nur noch Sozialhilfe. Es wäre doch eigentlich gerecht, daran etwas zu ändern, oder?

Msgr. Prof. Peter Schallenberg (Professor für Moraltheologie und Leiter der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle in Mönchengladbach): Ja, das kann man so sagen. Dann könnte man am besten - um der sozialen Gerechtigkeit zu genügen - für alle ein Bürgergeld einführen und wäre damit gut aus dem Schneider. Ich glaube, dass das eine relativ leichte Machart von Populismus ist, die wir bei Martin Schulz finden. Es war nicht sehr schwer vorauszusehen, dass die Agenda 2010 und die Hartz IV-Reformen das Spielfeld sein würden, auf dem Martin Schulz sich betätigt.

domradio.de: Wo ist denn das "Aber" bei diesem längeren Arbeitslosengeld für über 50-Jährige?

Schallenberg: Ich glaube, man müsste zunächst einmal nach den Fakten fragen. Die Kritik aus der Union und aus den Arbeitgeberverbänden hat auf den Punkt gebracht und verdeutlicht, dass man zuerst auf die Fakten schauen muss. Wie viele Menschen kommen wieder in Arbeit? Wie viele Menschen sind über 50 vermittelbar? Es ist zweifellos schwierig, in technisch anspruchsvollen Berufen in der heutigen Zeit mit über 50 Jahren wieder vermittelt zu werden. Das wird aber auch durch eine längere Zahlung von Arbeitslosengeld I nicht aus der Welt geschafft. Wenn Martin Schulz sagt, es sei sozial ungerecht, wenn jemand dann nur eine bestimmte Zeit Arbeitslosengeld I bekommt und dann auf Hartz IV abfällt, ist das eine reine Behauptung mit einem völlig undefinierten Begriff von sozialer Gerechtigkeit. Was ist daran ungerecht? So würde die Gegenfrage lauten.

domradio.de: Ein Argument lautet, dass bei der Verlängerung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I, sich die Menschen nicht so sehr um einen neuen Job bemühen würden. Das unterstellt ja, dass die Mehrheit der Arbeitslosen gerne ohne Job ist. Glauben Sie das wirklich?

Schallenberg: Das glaube ich auch nicht unbedingt. Das halte ich sogar für schlechte "Küchentopf-Psychologie". Es geht schon darum, zu fördern und zu fordern. Das machen uns ja beispielsweise Dänemark und die Niederlande mit eigentlich ganz guten Ergebnissen vor. Das war ja auch ein Ziel der Agenda 2010, dass man versucht Menschen möglichst nachhaltig wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, vielleicht auch in Arbeitsplätze zu bringen, die sie nicht angestrebt hatten und für die sie bisher nicht ausgebildet waren. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Partizipation in unserer Gesellschaft wesentlich durch Partizipation am Arbeitsleben geschieht - nicht um jeden Preis, aber in einer Form, dass ein Mensch in unserer Gesellschaft wesentlich teilnimmt und Anerkennung erfährt, dadurch dass er arbeitet und eine Art von sinnvoller Beschäftigung hat. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes asozial, wenn man ihn einfach seinem Schicksal überlässt. Das war die Idee, die hinter der Reform stand. Und das hat - das muss man deutlich sagen - bisher gut funktioniert.

domradio.de: Die Arbeitslosenzahlen sind in Deutschland so niedrig wie schon lange nicht mehr. Experten streiten darüber, ob es ein Erfolg der Hartz-IV-Reformen ist oder an der guten Konjunktur liegt. Aber es gab auch noch nie so viele Menschen in Leih- und Zeitarbeit oder Arbeitnehmer, die trotz Vollzeit-Stelle von ihrem Lohn nicht leben können. Das ist doch auch nicht in Ordnung, oder?

Schallenberg: Das stimmt. Das ist ein Punkt, der weiter verbesserungswürdig ist. Dass Menschen zum Teil von ihrer Arbeit nicht leben können und zum Teil zwei oder drei Arbeitsstellen annehmen müssen, ist kein guter Umstand. Ein weiterer Punkt sind die bei uns im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Italien zwar mit zu einem sehr viel geringeren Anteil, aber dennoch zahlreich vorhandenen befristeten Arbeitsverhältnisse, von denen ebenfalls nur schwer zu leben ist. Da muss man auch noch einmal genau draufschauen. In vielen Großstädten ist von den daraus resultierenden Verdiensten sehr viel schwerer zu leben als im ländlichen Raum. Das bedeutet, dass die Lebensverhältnisse ohnehin im großstädtischen Bereich sehr viel prekärer sind als im ländlichen Bereich. Ich bin allerdings nicht der Meinung, dass jetzt eine Pauschalforderung, wie Martin Schulz sie aufgebracht hat, befristete Arbeitsverhältnisse mehr oder weniger ganz abzuschaffen, der Weisheit letzter Schluss ist. Aber hinschauen sollte man bei befristeten Arbeitsverhältnissen, inwieweit das überhaupt noch eine Grundlage für den Lebensunterhalt bietet.

domradio.de: Sie sagen also, Hartz IV-Gesetze kann man sich anschauen - aber mit Fingerspitzengefühl. Was steckt denn dann hinter den Äußerungen von Martin Schulz? Ist das nur Wahlkampfgetöse?

Schallenberg: Sehr polemisch gesagt: Ja. Wahlkampfgetöse ist das ganz gewiss. Wahlkampfgetöse gehört aber auch dazu. Das macht die Union auch. Das machen alle Parteien. Ganz zugespitzt könnte man sagen, dass das Feld der sozialen Gerechtigkeit vom SPD-Kanzlerkandidaten bespielt werden muss. Was für Felder soll er sonst bespielen? Die Frage der Vorbereitung einer Rot-Rot-Grünen-Koalition steht dabei auch sicher im Hintergrund. Wenn jetzt die Linke dazu Beifall klatscht und sagt, das ginge noch gar nicht weit genug, dann kann man sich vorstellen was für Koalitionsspiele in den entsprechenden Hinterstuben schon einmal besprochen werden. Das ist alles nicht ehrenrührig und gehört zur Demokratie dazu. Da werden verschiedene Kugeln über die Bande gespielt und verschiedene Koalitionen schon eruiert. Das halte ich nicht für schlimm. Aber ich würde sagen, dass ein Gutteil der jetzt losgetretenen Diskussion Wahlgetöse ist. Man sollte dieses Feld mit viel Sachverstand, ökonomischem Verstand und viel Detailkenntnis angehen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR