Christen in der Türkei in Sorge

Alle Macht für Erdogan?

Wenn es läuft, wie es sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vorstellt, dann hätte er nach einer Verfassungsreform künftig noch mehr Macht. Kein gutes Signal für die Christen im Land, meint Otmar Oehring von der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Schwerer Stand für Christen in der Türkei / © Sebastian Backhaus (epd)
Schwerer Stand für Christen in der Türkei / © Sebastian Backhaus ( epd )

domradio.de: Das türkische Parlament berät an diesem Montag über eine neue Verfassung, die ein Präsidialsystem in der Türkei vorsieht. Das hieße dann, Erdogan wäre künftig nicht nur Präsident, sondern auch Regierungschef. Insgesamt würde diese Reform den Präsidenten in der Türkei deutlich stärken und das Parlament schwächen. Das sorge für mehr Stabilität und Sicherheit, meinen die Befürworter. Erdogan reiße immer mehr Macht an sich und baue die Türkei zu einem autokratischen Staat um, sagen die Kritiker. Wie bewerten Sie diese politische Entwicklung? Ist das ein nachvollziehbares Argument: mehr Macht für Erdogan, um Stabilität und Sicherheit zu gewährleisten?

Dr. Otmar Oehring (Koordinator für den Internationalen Religionsdialog bei der Konrad-Adenauer-Stiftung): Im Moment kann man nicht von Stabilität und Sicherheit in der Türkei reden. Das machen die Entwicklungen in den letzten Tagen und Wochen deutlich. Es ist zu befürchten, dass auch in der nahen Zukunft die Stabilität, die sich Erdogan und viele andere in der Türkei wünschen, nicht unbedingt eintreten wird.

domradio.de: Sie waren im November noch in der Türkei, um sich über die Lage der Christen und den interreligiösen Dialog zu informieren. Was haben Ihnen die Menschen da erzählt? Was haben Sie erlebt?

Oehring: Positiv gewendet könnte man es so darstellen, dass die Christen in der Türkei zunächst einmal, wie viele andere Menschen dort, abwarten, was passieren wird. Es bleibt den meisten auch gar nichts anderes übrig. Was natürlich die Christen und andere religiöse Minderheiten, wie beispielsweise die jüdische Gemeinschaft und die große Minderheit der Aleviten in der Türkei umtreibt, ist die Frage, wie sie im Zusammenhang mit den Entwicklungen in der Türkei künftig gesehen werden.

Interessant wird sein, in wie weit man ihnen vielleicht auch eine Mitschuld am Putsch und an den Aktivitäten der Gülen-Bewegung zuschreibt, die jetzt in der Türkei als eine terroristische Organisation dargestellt wird, obwohl sie lange Jahre praktisch eine Wegbegleiterin der AKP-Regierung war.

domradio.de: Den interreligiösen Dialog in der Türkei hat lange Zeit die Gülen-Bewegung betrieben, die ja auch zu den Verbündeten Erdogans zählte, bis Fetullah Gülen nach dem vereitelten Putsch in vergangenen Jahr zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt wurde. Gibt es denn jetzt noch interreligiösen Dialog?

Oehring: Man muss ganz klar sagen, dass es den interreligiösen Dialog, so weit er den sunnitischen Islam, was im Grunde der prägende Staatsislam ist, betrifft, im Grunde nicht mehr gibt. Die AKP hat sich selbst als politische Partei ebenso wie ihre Wählerschaft und diejenigen, die sie tragen oder auch das staatliche Präsidium für religiöse Angelegenheiten, um diesen Dialog in den letzten Jahren nicht gekümmert.

Den interreligiösen Dialog hatte man der Gülen-Bewegung überlassen, die in diesem Bereich auch durchaus eine gewisse Expertise für sich in Anspruch nehmen kann. Das heißt, dass es im Grunde genommen in diesem Präsidium für religiöse Angelegenheiten - so sahen es diplomatische Quellen - niemanden gibt, der den Dialog mit den christlichen Kirchen im westlichen Ausland führt. Auch mit anderen Religionsgemeinschaften existiert der Dialog nicht. Das ist eine sehr betrübliche Entwicklung für ein Land, das eine Bevölkerung von fast 80 Millionen Menschen hat und durchaus auf einen kulturellen und interreligiösen Dialog angewiesen sein sollte.

domradio.de: Sind die Kirchenführer in der Türkei frei, solche Missstände anzusprechen - oder sind sie gezwungen, sich zurückzuhalten?

Oehring: Das ist so eine Sache. Es gibt Kirchenführer, die selber türkische Staatsbürger sind und aus der Türkei stammen. Das ist zum Beispiel bei den Oberhäuptern der syrischen-orthodoxen oder der syrisch-katholischen Kirche der Fall. Sie haben es um einiges schwerer, sich zu solchen Fragen zu äußern, als jetzt vielleicht die römisch-katholischen Bischöfe, die alle Ausländer sind. Denen kann im schlimmsten Fall passieren, dass sie des Landes verwiesen werden.

Trotzdem ist das nicht gewollt. Also sind sie momentan zurückhaltend. Andererseits gibt es aber momentan auch gar nicht die Frage, was die Kirchenführer über die Situation denken. Sie werden ja auch nicht gefragt.

Es ist natürlich so, dass es auf der Seite der Kirchenführer - angefangen vom ökumenischen Patriarchen - eine gewisse Sorge geäußert wird, dass versucht werden könnte, den Kirchen im Zusammenhang mit den Dialogbemühungen etwas anzulasten. Denn bis zum Putsch im Juli 2016 hatte es durchaus Dialogbemühungen gegeben. Dann gab es auch Vorwürfe gegen den ökumenischen Patriarchen.

domradio.de: Werden die Christen somit auch in die Nähe der Gülen-Bewegung gerückt?

Oehring: Also man sagt zumindest, Christen und Gülen-Anhänger hätten den Dialog gesucht. Nachdem die Gülen-Bewegung momentan als terroristische Organisation dargestellt wird, ist es natürlich nicht so ganz günstig, wenn man mit solch einer Organisation in Verbindung gebracht wird. Auch wenn man aus unserer Sicht dazu sagen könnte, dass das ja in der Vergangenheit mit dem Segen der AKP, der Regierung und den staatlichen Institutionen geschehen ist.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Recep Tayyip Erdogan / © Str (dpa)
Recep Tayyip Erdogan / © Str ( dpa )
Quelle:
DR