Politikwissenschaftler über das Wahljahr 2017

Rechenspiele um die Macht

Dieses neue Jahr 2017 wird ein Wahljahr. Ob Bundestag, Bundespräsident oder französischer Präsident - es werden neue politische Weichen gestellt. Der Politikwissenschaftler und katholische Publizist Andreas Püttmann wagt einen Ausblick.

Wahllokal / © Britta Pedersen (dpa)
Wahllokal / © Britta Pedersen ( dpa )

domradio.de: Wenn Sie auf all die Wahlen blicken, die jetzt anstehen- welche wird da am spannendsten aus Ihrer Sicht?

Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler): Das könnte eine Wahl werden, die wir noch gar nicht auf dem Schirm haben, nämlich eine in Italien, das turnusgemäß erst 2018 wählt. Nach dem gescheiterten Verfassungsreferendum und dem Rücktritt von Herrn Renzi haben wir eine instabile Regierung mit dünner Mehrheit im Senat. Zudem ist die Lage in Italien besonders prekär, weil hier die Rechten und Rechtspopulisten, also Herr Grillo mit seiner Fünf-Sterne-Bewegung, aber auch andere nationalistische Parteien und die "Lega Nord" fast 50 Prozent der Stimmen in Umfragen haben. Auch schwelt die Bankenkrise in Italien weiter, daraus könnte für die EU eine brisante Mischung werden. Vorgezogene Wahlen sind wahrscheinlich. Dann wäre das die spannendste Wahl, gefolgt von den Niederlanden, wo wir am 15. März einen Triumph der Rechtspopulisten erleben dürften, die bei 36 Prozent in Umfragen liegen. Danach wird es erforderlich sein, dass sich alle relevanten demokratischen Parteien zu einer Koalition zusammenschliessen, um Herrn Wilders von der Macht fern zu halten.

In Deutschland kann die NRW-Wahl spannender als die Bundestagswahl werden. Bei der Bundestagswahl wird die CDU aller Voraussicht nach gewinnen und auch wieder die Kanzlerin stellen, während in NRW die beiden großen Parteien Kopf an Kopf liegen und eine kleine Koalition nicht mehr funktionieren wird. Wir wissen deshalb nicht, ob es eine große Koalition unter dieser oder jener Führung geben wird, oder ob möglicherweise auch eine Dreierkoalition kommt. Die AfD liegt derzeit etwa bei 9 Prozent, die FDP bei 7 und die Linke bei 5 Prozent. 

domradio.de: Wenn wir uns die Politik von 2016 angucken, dann hat ja gerade Europa einiges durchgemacht. Rechtsruck in einigen Ländern, EU Kritik, Brexit... Was würden Sie sagen? Steht Europa 2017 insgesamt schlechter dar als im Vorjahr mit diesen Prognosen? 

Püttmann: Was den Rechtspopulismus angeht, sicherlich. Wir werden hier noch einige Erdrutsche erleben zu Gunsten der Rechten. Übrigens in Frankreich eher weniger; da wird Frau Le Pen bei der Präsidentenwahl zwar etwa 30 Prozent im ersten Wahlgang erreichen, aber im zweiten wartet Herr Fillon, ein konservativer Katholik, der so eine Art historischer Kompromiss werden könnte zwischen den Rechten und dem Rest des Landes. Fillon wird nach allen Umfragen Frau Le Pen in der Stichwahl mit zwei Dritteln der Stimmen schlagen, selbst die zwei sozialistischen Kandidaten würden sie dann besiegen. Aber das Problem sind eher die Niederlande und Italien und natürlich auch Polen und Ungarn. Die liberale Demokratie ist gerade in einer ganz schweren Bewährungsprobe. 

domradio.de: Ich höre raus, dass Sie den Erwartungen der Niederlage Marine Le Pens recht positiv gegenüber stehen. Da könnte man aber auch darauf verweisen, dass Brexit und Trump auch keiner vorher gewusst hat. 

Püttmann: Ja, aber wir werden in Frankreich durch die zwei Wahlgänge einen leichteren Zusammenschluß der demokratischen Kräfte haben. Das Wählerverhalten ist immer auch eine Frage des Wahlrechts. Und da Sie Trump schon ansprechen: Einige Stimmen sagen, dass bei ihm nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Ich kann hier aber nur vor Schönfärberei warnen. Wir werden schon noch sehen, dass uns seine narzisstische Persönlichkeitsstruktur, seine Unberechenbarkeit und politische Inkompetenz in Atem halten werden. Siehe die ersten diplomatischen Verwicklungen mit China. Auch die Putin-Freundschaft kann schnell in eine gefährliche Konfrontation umschlagen. Wir wissen ja aus der Geschichte, dass Zweckbündnisse zwischen Autokraten wenig stabil sind... Das gilt übrigens auch für Putin und Erdogan. Das Baltikum und die Ukraine werden jedenfalls schon zittern. 

domradio.de: Beim Thema Trump kommen gerade lobende Töne aus Israel. Wie schätzen Sie das ein? 

Püttmann: Die sind nicht repräsentativ, sondern einem sehr speziellen Blickwinkel und Problem geschuldet. Insgesamt ist es schon eine ganz gefährliche Entwicklung in den USA, und Europa wird sich sehr zusammenreißen und zusammenschließen müssen, um hier zu kompensieren, was in den USA an politischer Vernunft verloren geht. 

domradio.de: Schauen wir noch einmal zurück auf Deutschland. Hier wird die AfD natürlich großes Thema sein; es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Partei in den Bundestag einzieht. Was wird sich dadurch im politischen Diskurs 2017 ändern?

Püttmann: Es ist nicht nur "nicht unwahrscheinlich", sondern ziemlich sicher, dass die AfD einzieht. Aus politologischer Sicht ist das vielleicht nicht mal das Schlechteste, denn dann können ihr Gesinnungsdilettantismus, ihre Zerstrittenheit und ihre gesellschaftliche Minderheitenposition deutlicher hervortreten. Die AfD muss dann Farbe bekennen und dabei wird mancher Wähler erkennen, dass diese Partei auch einiges im Programm hat, was gegen seine eigenen Interessen steht.

Die größere Gefahr als die AfD selbst ist die opportunistische Anpassung der CSU und in Teilen der CDU an die AfD - und natürlich auch die Zementierung der großen Koalition, denn eine Linkskoalition wird keine Chance haben, Rot-Rot-Grün ist im Bund schon rein rechnerisch, aber auch politisch nicht realistisch, und eine Dreierkoalition Schwarz-Grün-Gelb ist vermutlich zu komplex. Es reicht schon zu sehen, wie die CSU sich da früher immer mit den Liberalen gestritten hat. Mit den Grünen würde es wohl noch schlimmer und mit beiden kaum auszuhalten. Insofern werden wir durch die AfD wahrscheinlicher eine Fortsetzung der großen Koalitionen erleben. 


Dr. Andreas Püttmann (privat)
Dr. Andreas Püttmann / ( privat )
Quelle:
DR