Kirchen trauern mit den Anschlagsopfern vom Weihnachtsmarkt

"Es ist Nacht in Berlin"

Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt ringt Berlin um Fassung. Statt großer Worte und Parolen bieten die Kirchen den Menschen einen Raum zur Trauer. In der Gedächtniskirche fand am Dienstagabend ein Gedenkgottesdienst statt.

Gedenken in der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale / © Paul Zinken (dpa)
Gedenken in der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale / © Paul Zinken ( dpa )

Nach dem Schock kommt die Trauer. Sie hat am Tag nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt die Kirchen gefüllt. Auch die Seelsorger ringen am Dienstag um das richtige Wort zur schrecklichen Tat. "Es ist Nacht in Berlin", sagt Erzbischof Heiner Koch. "Ohnmächtig, verzweifelt, wutvoll, so haben viele die Nacht des Terrors erlebt", fasst er die Gefühle seiner Zuhörer zusammen. Rund 400 sind in die katholische Sankt-Hedwigs-Kathedrale gekommen, seiner Einladung zum mittäglichen Gebet gefolgt. Polizisten patrouillieren vor den Buden um die Kathedrale, an denen noch am Vorabend fröhlich gefeiert wurde.

"Hier gibt es nichts zu erklären mit frommen Worten", räumt der Erzbischof nach ersten Orgelklängen ein. "Wir müssen die Leere aushalten, das Nicht-Verstehen-Können. Das ist vielleicht die größte Hilfe, die wir den Trauernden geben können", hofft Heiner Koch. Weihbischof Matthias Heinrich spricht in einem Klagegebet von den nun zerbrochenen Liebes- und Lebensgemeinschaften, "den Kindern, die zu Waisen geworden sind, den Alten, die alleine geblieben sind".

Wenn ein Mensch zum Stern wird

"Unerträglich", empfindet Erzbischof Koch da, "wie jetzt schon wieder angefangen wird, nach Konsequenzen zu rufen, nach Schuldigen". Dem hält er entgegen: "Wir lassen uns nicht teilen, wir bleiben zusammen." Und vorsichtig schlägt er einen Bogen zum Weihnachtsfest, zum Stern von Bethlehem, der die Geburt Jesu ankündigte: "Seien auch wir in kommenden Tagen ein Stern für einen anderen Menschen."

Ein Stern, wie nach den Worten des Erzbischofs es viele Helfer geworden sind: "Danke" sagt er den Sanitätern, Polizisten, Feuerwehrleuten und Notfall-Seelsorgern, die in diesen Stunden immer noch im Einsatz sind. Als der Erzbischof seinen Schlusssegen gesprochen hat und die Orgel verklungen ist, erhellen immer mehr Kerzen die große Marienfigur in einem Winkel der Kathedrale. Andere gedenken der Opfer in stiller Versunkenheit.

Gedächtniskirche als Symbol des Friedens

Auch in der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, gleich neben dem Ort der Tat, dominiert die Fassungslosigkeit. Eine junge Frau, mit Koffer und Rucksack schwer bepackt, schaut mit Tränen in den Augen auf die demolierten Weihnachtsbuden. Die Polizei hat das Gelände großräumig abgesperrt, die Kirche selbst ist geöffnet.

Vor dem Eingang liegen ungezählte Blumen und Kerzen. Drinnen hat sich eine Menschenschlange gebildet: Dutzende warten geduldig, um sich in eines der beiden Kondolenzbücher einzutragen. "Die Gedächtniskirche ist das Symbol des Friedens im Westen von Berlin", sagt Pfarrerin Dorothea Strauß vor 250 Teilnehmern. Das tägliche Mittagsgebet wird an diesem Tag zum Gedenkgottesdienst für die Opfer von Terror und Gewalt. Unterdessen ist teils schwer bewaffnete Polizei angerückt, geht in und um die Kirche in Stellung.

Bischof Dröge: Hass nicht mit Hass beantworten

Am Nachmittag kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einer Gedenkminute an den Ort des Anschlags. Begleitet wird sie von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD), Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) sowie Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD). Anschließend tragen sich die Politiker in das Kondolenzbuch in der Kirche ein.

In der Gedächtniskirche gedenken am Abend die höchsten Repräsentanten des Staates der Anschlagsopfer, an ihrer Spitze außer der Kanzlerin auch Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundesratspräsidentin Malu Dreyer (SPD). Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge und Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) rufen dazu auf, Hass nicht mit Hass zu beantworten. Dröge warnt davor, dem Terror Recht zu geben, "indem wir uns entzweien lassen, weil wir unterschiedlichen Kulturen angehören".

Müller mahnt, das "weltoffene Berlin" nicht aufzugeben. "Juden, Christen und Muslime gehören zu dieser Stadt", betont auch der Regierende Bürgermeister. Vertreter anderer christlicher Konfessionen, unter ihnen Erzbischof Koch, sowie von Judentum und Islam in Berlin wirken ebenfalls am Gedenkgottesdienst mit. Vor aller Augen bringen sie ihre Verbundenheit zum Ausdruck, als sie sich gemeinsam vor dem Altar versammeln.


Bischof Markus Dröge in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler (dpa)
Bischof Markus Dröge in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler ( dpa )

Erzbischof Heiner Koch in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler (dpa)
Erzbischof Heiner Koch in der Gedächtniskirche / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA