Radio Vatikan zu Referendums-Niederlage in Italien

"Deutlichkeit war überraschend"

Er wollte Italien von Grund auf umgestalten, ist nun aber gescheitert: Ministerpräsident Matteo Renzi räumt das Feld. Bernd Hagenkord von Radio Vatikan spricht von einem "unentwirrbaren Knäuel" in Italien.

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Das Gespräch führte Verena Tröster.
Italien: Renzi scheitert bei Referendum / © Alessandro di Meo (dpa)
Italien: Renzi scheitert bei Referendum / © Alessandro di Meo ( dpa )

domradio.de: Knapp 60 Prozent haben 'nein' zu Renzi und seinen Reformen gesagt. Das ist ja schon ziemlich deutlich. Haben Sie damit gerechnet?

Bernd Hagenkord (Leiter deutschsprachige Redaktion Radio Vatikan): Mit dem "Nein" habe ich gerechnet, aber die Deutlichkeit hat mich dann doch sehr überrascht. Es war vorausgesagt worden, dass es doch eher knapper werden würde – vor allem, weil die über drei Millionen Italiener im Ausland doch eher europafreundlich sind. Also haben wir mit einem knappen Ergebnis gerechnet. Die Deutlichkeit war überraschend.

domradio.de: Haben sich die Italiener damit eher gegen die Verfassungsreform entschieden oder gegen Matteo Renzi?

Hagenkord: Ich glaube, sie haben sich gegen Matteo Renzi entschieden. Aber es ist natürlich ein unentwirrbares Knäuel. Da geht es natürlich auch um die Verfassung - und um die Frage, wie Italien regiert werden soll und um die Frage, wie es regiert wurde. Natürlich hat Renzi seine Person sehr stark daran gebunden. Der Versuch dies rückgängig zu machen, ist ihm nicht ganz gelungen.

Er hat gesagt: Wenn ihr gegen die Verfassungsänderungen seid, dann geh ich auch wieder. Die ganze Unregierbarkeit, die Unreformierbarkeit, der Unwillen mit Italiens Situation im Ganzen – der hat sich jetzt über Renzis Kopf entladen. Wenn man mit Leuten spricht oder Zeitung liest, dann hört man ein tief empfundenes 'Wir haben die Nase voll'. Das ist der Hintergrund für die Oppositionsbewegung - der "Fünf-Sterne"-Protestbewegung - als auch der Ablehnung hier. Das mag im Einzelfall nochmal andere Motive haben. Aber grundlegend ist das die Stimmung, aus der heraus jetzt abgelehnt wurde.

domradio.de: Dabei sind Regierungskrisen für Italien ja nichts Neues. In den gut 70 Jahren Nachkriegszeit gab es im Schnitt fast jedes Jahr eine neue Regierung. Warum ist es so kompliziert, dieses Land zu regieren?

Hagenkord: Das ist eine gute Frage. Wer die Antwort darauf hat, wird die nächsten zehn Jahren Premierminister. Renzi ist ja sogar einer der Stabileren. Insgesamt vier Premierminister haben nach dem Weltkrieg mehr als 1000 Tage regiert.

Das liegt natürlich am System. Bereits die Gründungsväter Italiens haben gesagt, dass dieser sogenannte 'bicameralismo perfetto'  - also zwei neben einander stehende gleichberechtigte Parlamente zu haben -, dass das eigentlich nicht tragfähig ist. Dass man das jetzt nach dem Krieg braucht, aber dass es dann eine Verfassungsreform braucht.

Das ist 70 Jahre her. Und die Reform hat man 70 Jahre nicht hingekriegt. Was natürlich auch dazu geführt hat, dass alles verknotet ist und man nichts mehr hinbekommt. Das andere ist: Es ist ein System, was zu sehr mit dem Zustecken von Gefallen zu tun hat, mit einer - nicht im straffälligen Sinne - Korruption auch auf ganz kleinem Gebiet. Da sind sehr viele Leute unzufrieden. Das hat dazu geführt, dass es viele grundsätzliche Auseinandersetzungen gegeben hat, die zu nichts geführt haben. Dann musste auch wieder jemand zurück treten.

Es ist seiner Instabilität schon wieder eine sehr stabile Regierung.Wobei man auch sagen muss: Italien zahlt in die EU ein - und bekommt nichts raus. Unterm Strich ist Italien ein sehr starkes Land, wirtschafftlich in der EU. Also insgesamt ein sehr große unentwirrbares Knäuel.


Bernd Hagenkord / © Radio Vatikan (dpa)
Bernd Hagenkord / © Radio Vatikan ( dpa )
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DR