Caritas Deutschland übt Kritik an Asylverfahren

"Fehlerträchtige Entscheidungshektik"

Asylverfahren in Deutschland haben schwere Mängel, die zu Lasten der Flüchtlinge gehen - mit zum Teil verheerenden Folgen. Im Interview erläutert Tobias Mohr, Fachreferent für Flucht und Asyl bei Caritas-Deutschland, die Kritikpunkte.  

Schild mit der Aufschrift "Asyl" / © Uli Deck (dpa)
Schild mit der Aufschrift "Asyl" / © Uli Deck ( dpa )

domradio.de: Sie kritisieren, dass die Anhörungen bei den Asylverfahren "verhörartig" gestaltet würden. Woher wissen Sie das?

Tobias Mohr (Fachreferent für Flucht und Asyl bei Caritas-Deutschland): Wir arbeiten mit Asylberatungsstellen und Rechtsanwälten zusammen, die Asylsuchende unterstützen. Grundsätzlich ist es so, dass Asylsuchende bei der Anhörung, dem Herzstück des Asylverfahrens, ihren Antrag vollständig begründen müssen. Und da kommt den Anhörern beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Verpflichtung zu, loyal und verständnisvoll diese Anhörung durchzuführen. Sie müssen auch den Asylsuchenden vermitteln, was von Ihnen wirklich erwartet wird. Wir hören, dass eine solche loyale und verständnisvolle Durchführung nicht der Regelfall ist. Vielmehr fühlen sich Asylsuchende teilweise eingeschüchtert, sind verunsichert und empfinden die Anhörungssituation als eine verhörartige Atmosphäre.

domradio.de: Welche Rolle spielen bei diesen Anhörungen Dolmetscher?

Mohr: Den Dolmetschern kommt eine erhebliche Rolle zu. Eigentlich sollen sie nur das Sprachrohr des Asylsuchenden und des Anhörers sein. Sie müssen unvoreingenommen sein, dürfen die Aussagen des Asylsuchenden nicht beeinflussen. Sie dürfen auch nicht an der Entscheidungsfindung mitwirken und keine Einschätzungen abgeben. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Dolmetscher nicht wortgenau oder auch falsch übersetzen. Das ist gravierend, weil es bei Anhörungen auf Details und bestimmte Begriffe ankommt, die für die Entscheidungen relevant sein können. Das Problem ist, dass viele Dolmetscher in kürzester Zeit eingesetzt werden mussten. Teilweise sind sie für diese Tätigkeit nicht ausreichend ausgebildet, besonders wenn es um die genannten Grenzen ihrer Aufgabe geht. Immer wieder beherrschen die Dolmetscher auch eine der beiden Sprachen, Deutsch oder die des Asylsuchenden, nicht gut genug für ihre Tätigkeit.

domradio.de: Sie kritisieren auch, dass die Menschenrechtssituation in den Herkunftsländern nicht ausreichend berücksichtigt wird. Woran liegt das?

Mohr: Es herrscht ein öffentlicher und politischer Druck auf den Anhörern des BAMF. Viele Mitarbeiter sind auch relativ kurz erst als Anhörer eingesetzt - mit kurzer Einarbeitungsphase. Der Anhörer muss grundsätzlich recherchieren, ob das, was der Asylsuchende sagt, der Wahrheit entspricht. Er muss aktuelle verlässliche Informationen über die Situation der jeweiligen Herkunftsländer einholen  – vom Auswärtigen Amt, UNCHR oder anderen Menschenrechtsorganisationen. Teilweise ist das in dieser Drucksituation nicht möglich, teilweise fehlt sicherlich den Anhörern auch die Erfahrung.

domradio.de: Häufig ist es also gar nicht böser Wille, sondern es stehen die Beamten, die Asylverfahren durchführen, unter einem großen Druck. Papiere fehlen, es gibt Druck von Politik und Medien. Wie könnte man denn in Ihren Augen diese Situation entschärfen?

Mohr: Man muss in dieser aktuellen Situation einen guten Ausgleich finden. Aber Qualität geht hier ganz klar vor Quantität. So wichtig es für die Gesellschaft und die Asylsuchenden auch ist, die Asylverfahren möglichst schnell durchzuführen, so wichtig ist es gleichzeitig aber auch, die Verfahren qualitativ hochwertig durchzuführen - und fair im Sinne der Asylsuchenden.

domradio.de: Dazu würde auch gehören, dass die Asylsuchenden besser über ihre Rechte informiert werden. Dass dies oft nicht so passiert, liegt dann auch am Druck von außen?

Mohr: Es ist nicht ganz klar, inwiefern es der Druck ist oder die fehlende Einarbeitungszeit. Zum Teil ist es so, dass Anhörer eine große Anzahl von Anhörungen am Tag durchführen sollen. Wenn sie das nicht schaffen, müssen die Anhörungen umterminiert werden. Es ist aber auch eine grundsätzliche Frage. Wenn wir sagen, wir haben ein rechtsstaatliches Verfahren, dann heißt das, dass Asylsuchende einen effektiven Zugang zum Recht haben müssen - auch niedrigschwelliger. Sie müssen ausreichende Informationen über das Asylverfahren, den Ablauf, die Rechte und Pflichten und auch Fristen bekommen können. Sie müssen wissen, was passiert, wenn sie irgendwelche Fristen versäumen. Das findet leider in der aktuellen Situation häufig nicht statt.

Bei der Antragstellung bekommen sie einen Stapel von verschiedenen Unterlagen mit Hinweiszetteln - in der Regel ist auch ein Merkblatt zum Asylverfahren dabei. Problematisch ist teilweise, dass die Asylsuchenden das gar nicht lesen können, weil sie Analphabeten sind. Teilweise ist die richtige Sprache nicht vorhanden und teilweise können die Asylsuchenden das Ganze auf Grund des kulturellen Verständnisses nicht richtig einordnen. Das ist ein Problem der richtigen Informationsvermittlung. Ich denke, da müssen sich die Anhörer entsprechend Zeit nehmen und die Dokumente müssen gemeinsam erarbeitet werden. Zudem muss natürlich auch ein Zugang zur Rechtsberatung und einer Rechtsvertretung sichergestellt werden. Auch das ist aus unserer Sicht ein riesiges Problem. Aufgrund der Abgelegenheit der Unterkünfte von Asylsuchenden ist da ein Zugang oftmals nicht möglich.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Keine anerkannten Flüchtlinge mehr aus den Maghreb-Staaten? / © Daniel Karmann (dpa)
Keine anerkannten Flüchtlinge mehr aus den Maghreb-Staaten? / © Daniel Karmann ( dpa )
Quelle:
DR