Frankreich beginnt mit Abriss des "Dschungels" von Calais

"Keiner will Verantwortung übernehmen"

Busse mit Flüchtlingen verlassen die nordfranzösische Hafenstadt Calais, Hütten und Zelte werden abgerissen. Die Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl kritisiert Europas Umgang mit Menschenrechten.

Das Flüchtlingslager in Calais wird geräumt / © Thibault Vandermersch (dpa)
Das Flüchtlingslager in Calais wird geräumt / © Thibault Vandermersch ( dpa )

Am zweiten Tag der Räumung des Flüchtlingslagers von Calais haben die französischen Behörden mit dem Abriss begonnen. Arbeiter entfernten am Dienstag leerstehende Zelte und Behelfsunterkünfte in dem riesigen Camp. Dabei blieb es weitgehend friedlich. Etwa tausend Flüchtlinge erhielten eine sichere Unterkunft, teilte Innenminister Bernard Cazeneuve in der Pariser Nationalversammlung mit.

Damit hatte bis Dienstagnachmittag etwa die Hälfte der schätzungsweise 6500 Migranten das wilde Camp am Rande einer Industriezone der Hafenstadt verlassen. Die meisten Flüchtlinge kommen aus Ländern wie Afghanistan, Äthiopien, Eritrea und dem Sudan. Viele waren mit der Hoffnung nach Calais gekommen, den Ärmelkanal überqueren und Großbritannien erreichen zu können.

Bereits am Montag waren über 2300 Flüchtlinge verlegt worden. Unter ihnen waren 400 unbegleitete Kinder und Jugendliche, die zunächst in einem Containerdorf bleiben. Nach Angaben Cazeneuves erklärte sich Großbritannien bereit, alle unbegleiteten Minderjährigen aus Calais aufzunehmen, deren Angehörige sich bereits im Königreich aufhalten.

"Europa der Menschenrechte steht vor dem Aus"

Unterdessen kritisiert die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl den Umgang Europas mit den Flüchtlingen. Der Europareferent der Flüchtlingshilfeorganisation Karl Kopp sagte im domradio.de-Interview, "das Projekt Europa wie wir es verstehen, basierend auf Grundrechten, Menschenrechten, Grundfreiheiten" stehe vor dem Aus.

Keiner wolle mehr Verantwortung übernehmen, so Kopp weiter. "Es gibt praktisch nur noch eine Koalition der Unwilligen, jeder schiebt Flüchtlinge den Nachbarn zu. Es ist kaum noch ein Staat bereit Verantwortung zu übernehmen." Das sei ein Desaster, resümiert der Flüchtlingsexperte. Deshalb sei es auch schwer menschenrechtskonforme Alternativen zu benennen, weil es kaum noch Akteure gebe.

"Das hat sehr viel mit der Innenpolitik in Frankreich zu tun"

Der Zeitpunkt der Räumung des Flüchtlingslagers sei bewusst von der französischen Regierung gewählt worden, so Karl Kopp. "Das hat sehr viel mit der Innenpolitik in Frankreich zu tun, da findet aktuell ein Wettlauf der Rechtspopulisten statt, um sich Flüchtlinge fernzuhalten. Man will den Schandfleck jetzt wegbekommen, damit er im Wahlkampf von den Rechten nicht instrumentalisiert wird".

Der sogenannte "Dschungel" bot am Dienstag ein Bild der Verwüstung. Viele Hütten einer improvisierten Ladenstraße waren leer, auf dem Boden lag Müll. Immer wieder loderten kleine Feuer auf. Bulldozer wurden nicht eingesetzt, sagte ein Sprecher der Präfektur Pas-de-Calais, Müll werde mit kleinen Schaufelbaggern entfernt.

Rangeleien aber keine Verletzten

Am Tor des Transitzentrums kam es zu Rangeleien mit der Polizei, dabei gab es aber keine Verletzten. In der Nacht habe es keine Zusammenstöße gegeben, teilte die Präfektur mit. In den Tagen zuvor war es am Rande des Camps zu nächtlichen Ausschreitungen gekommen, bei denen die Polizei auch Tränengas einsetzte.

Die Regierung will das Entstehen neuer illegaler Camps in Calais und an der Küste verhindern. "Die Ordnungskräfte vor Ort werden Kontrollen durchführen, vor allem an den Bahnhöfen", hatte Cazeneuve angekündigt. Die Auflösung soll nach Angaben der Präfektur etwa eine Woche dauern. Wie mit den sogenannten Widerspenstigen umgegangen werden soll, die unbedingt bleiben wollen, wird nicht offen gesagt. Inoffiziell ist zu hören, dass am Ende auch Polizei eingesetzt werden könnte.


Quelle:
dpa , DR