Erzbischof Heße und Kiels OB Kämpfer über Barmherzigkeit

"Das Gute ist nicht spannend"

Wie barmherzig sind wir etwa im Umgang mit dem öffentlichen Scheitern von Institutionen oder Prominenten? Das war Thema eines Gesprächsabends mit Hamburgs Erzbischof Stefan Heße und Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer.

Autor/in:
Esther Geißlinger
Erzbischof Stefan Heße / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Erzbischof Stefan Heße / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Wie barmherzig können Entlassungsgespräche sein? Wie viele Fehler dürfen sich Spitzenleute in Zeiten des virtuellen Prangers erlauben? Aktuelle Fragen, die aber meist nur in den Blickpunkt rücken, wenn es einen Anlass gibt. Antworten suchten der Hamburger Erzbischof Stefan Heße und Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) am Mittwochabend bei einer Podiumsdiskussion in der Kieler Sankt Heinrich Kirche.

Eingeladen hatte die Pfarrei Franz von Assisi, die ihre "Wochen der Barmherzigkeit" im Rahmen des von Papst Franziskus ausgerufenen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit mit dem Spitzentreffen zwischen "EB und OB" - wie ein Zuschauer in der vollen Kirche kalauerte - krönte.

"Das Gute ist nicht spannend"

Was es überhaupt gebracht habe, dieses Jahr, wollte Moderator und Tageszeitungsjournalist Kristian Blasel wissen: "Wenn ich Nachrichten schaue, merke ich nicht, dass die Barmherzigkeit mehr geworden ist." Das habe einen einfachen Grund, konterte Heße: "Das Gute ist nicht spannend." Dennoch habe die Idee des Papstes es bis in den Norden nach Kiel geschafft. Das Ziel sei, dass über das Ende des Jahres am 20. November hinaus die Idee der Barmherzigkeit zur Tat werde und im Alltag umgesetzt werden.

"Die Lust am Scheitern des Anderen" lautete der Untertitel des Abends - denn Barmherzigkeit beweist sich schließlich meist angesichts von Fehlern: "Nicht ohne Grund steht das Herz in der Mitte des Wortes", sagte Kämpfer. In einer idealen Welt, in der Gesetze immer für Gerechtigkeit sorgen, sei Barmherzigkeit gar nicht notwendig, so der Sozialdemokrat und Jurist.

Kirche müsse Realitäten wahrnehmen

Eben in diese Graubereiche, die es in menschlichen Leben immer geben könne, stoße die Kirchen nun vor - so verstehe er die aktuellen Leitlinien des Papstes etwa auch zur Sexualmoral, sagte Heße: "Es gibt feste Pfähle, und dazwischen bewegt sich das Leben des Einzelnen." Die Kirche müsse die Menschen begleiten und gleichzeitig "die Realitäten wahrnehmen".

Dass Spitzenleute in Politik oder Kirche hohe Erwartungen erfüllen müssen, fanden sowohl Kämpfer als auch Heße in Ordnung. Sie besprachen das an zwei prominente Fällen von öffentlichem Scheitern: Franz-Peter Tebartz van Elst und Christian Wulff. Während Heße im Fall des ehemaligen Limburger Bischofs die Aufklärungsarbeit der Medien lobte, sah Kämpfer beim Ex-Bundespräsidenten auch eine "Tragik" und Ungerechtigkeit.

Fehler in der Vergangenheit

Angesprochen wurde auch der Umgang der Kirche mit Missbrauch. In der Vergangenheit seien große Fehler gemacht, Dinge vertuscht worden, sagte Heße: "Wir haben viel gelernt, wir sind besser geworden." Kämpfer sprach von einem Institutionsversagen, erinnerte aber daran, dass es ähnliche schlimme Fälle auch in anderen Institutionen wie der Odenwaldschule gegeben habe.

Insgesamt stellte Kämpfer fest, dass der "Wille zur Empathie" sinke. Daran sei auch das Internet schuld, das es erleichtere, nur Meinungen wahrzunehmen, die der eigenen entsprechen. "Demokratie ist kein Ponyhof, Konflikt ist in Ordnung - aber es gibt eine Tendenz zur Nicht-Kommunikation, die mir Sorgen macht."

Auffallend abwesend waren zwei Namen aus der jüngeren Vergangenheit der Kieler Politik: Susanne Gaschke (SPD), Kämpfers Amtsvorgängerin als Oberbürgermeisterin, die über den ungeschickten Umgang mit einem Steuersünder stolperte, und Ex-Bildungsministerin Wara Wende (parteilos), der vorgeworfen wurde, sich den Rückweg aus der Politik in die Wissenschaft finanziell zu dick abgepolstert zu haben. Dass beider öffentliches Scheitern nicht noch einmal aufs Tapet kam, war vermutlich ein Akt der Barmherzigkeit.


Quelle:
KNA