Verhaltene Bilanz der New Yorker Flüchtlingsgipfel

"Eine Antwort, die alles andere als historisch ist"

Zur Linderung der weltweiten Flüchtlingskrise wollen einige Länder ihren Einsatz steigern. In New York versprachen die Teilnehmer eines Gipfeltreffens, mehr zu tun. Aus Sicht von Experten ist mehr aber nicht genug.

Autor/in:
Bernd Tenhage
US-Präsident Barack Obama / © Justin Lane (dpa)
US-Präsident Barack Obama / © Justin Lane ( dpa )

Yusra Mardini (18) schwamm um ihr Leben. Und um das jener 17 Menschen, die mit ihr in einem überladenen Flüchtlingsboot saßen, das im August 2015 aus der Türkei Richtung der griechischen Insel Lesbos unterwegs war. Kurz vor dem Ziel blieb der Motor stehen. Wasser lief in den Rumpf und drohte das altersschwache Gefährt untergehen zu lassen.

Die in Damaskus zur Welt gekommene syrische Olympia-Schwimmerin sprang zusammen mit ihrer Schwester und zwei anderen Flüchtlingen in die Ägäis und schob das Boot Richtung Küste. Nach drei langen Stunden erreichten die Menschen sicher den Strand von Lesbos.

Flüchtlingsgipfel in New York

Yusra, die heute mit ihrer Familie in Berlin lebt, erzählte ihre Geschichte am Dienstag (Orstzeit) den Teilnehmern des Flüchtlingsgipfels in New York. "Sie haben keine Wahl, wenn sie Ihre Heimat verlassen müssen", sagte sie in Richtung der Staats- und Regierungschefs, die auf Initiative von US-Präsident Barack Obama zusammengekommen waren. Ihre Erfahrung teilt sie mit geschätzt rund 63,5 Millionen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind.

Die Schwimmerin, die sich im deutschen Exil für das staatenlose Olympia-Team der Flüchtlinge in Rio qualifizierte, schrieb den Mächtigen noch eine andere Wahrheit ins Stammbuch: "Flüchtlinge können eine Menge erreichen, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen."

Genau dieses Anliegen verfolgte US-Präsident Obama, der die Initiative zu dem Gipfel am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen ergriffen hatte. Er lobte Yusra, die seinen Auftritt in New York ankündigen durfte, für "ihren Mut und ihre Zähigkeit und das großartige Beispiel, das sie für Kinder überall gesetzt hat". Ihr Einsatz solle eine Inspiration für die Verantwortlichen sein, mehr für die Flüchtlinge zu tun.

Obama hob die Situation in Syrien, Afghanistan und Somalia als besonders dramatisch hervor, rückte die Krise dort aber in einen globalen Zusammenhang. Auch in Darfur, Palästina, Kolumbien und vielen Ländern Mittelamerikas seien Familien vor Gewalt geflohen und träumten davon, eines Tages wieder ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben.

Dank an Kanzlerin Merkel

"Diesen Menschen die Tür vor der Nase zuzuschlagen, verrät unsere tiefsten Werte", redete Obama den Vertretern der 45 Teilnehmerstaaten ins Gewissen. Ausdrücklich dankte Obama Bundeskanzlerin Angela Merkel, die "in einer Krise epischen Ausmaßes" Verantwortung übernommen habe. Die Politik gehe zuweilen "hart um" mit Regierenden, die das Richtige täten und die Grenzen für Schutzsuchende öffneten. 

Der Appell des US-Präsidenten stieß bei einigen Teilnehmern des Gipfels auf offene Ohren. Frankreich, Italien, Luxemburg, Portugal, Rumänien, Spanien und Tschechien verzehnfachten ihre Aufnahmequoten. Die USA hatten bereits vor dem Gipfel versprochen, im kommenden Haushaltsjahr 110.000 Flüchtlinge aufzunehmen.

Obama hob hervor, das - alle Zusagen von Staaten zusammengenommen - die Zahl der Flüchtlinge, die aufgenommen würden, gegenüber dem Vorjahr auf 360.000 verdoppelt werde. Experten sehen darin einen guten Anfang - aber bei weitem nicht genug, um den globalen Druck der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg zu mildern. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hält die Aufnahme von 1,1 Millionen Menschen allein in diesem Jahr für nötig.

Weit hinter den Erwartungen zurück blieben am Montag auch die Teilnehmer des Flüchtlingstreffens der Vereinten Nationen. Sie beschlossen lediglich eine Resolution, in der die reichen Länder ziemlich unspezifisch aufgefordert werden, mehr zu tun. Philippe Bolopion von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigt sich enttäuscht über diesen erreichten Formel-Kompromiss. "Wir stehen vor einer historischen Krise - und kommen mit einer Antwort, die alles andere als historisch ist."


Quelle:
KNA