Lebenshilfe-Vorsitzende Schmidt zum Bundesteilhabegesetz

"Menschen mit geistigen Behinderungen sind Leidtragende"

Lange haben Politiker und Betroffene darum gerungen: der Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz wird diesen Donnerstag im Bundestag beraten. Die Lebenshilfe-Vorsitzende Ulla Schmidt erwartet jedoch noch Änderungen, wie sie im Interview verriet.

Frau im Rollstuhl / © Patrick Seeger (dpa)
Frau im Rollstuhl / © Patrick Seeger ( dpa )

KNA: Was sind die Haupt-Kritikpunkte an dem bisherigen Entwurf der Bundesregierung für ein Bundesteilhabegesetz?

Ulla Schmidt (Lebenshilfe-Vorsitzende und SPD-Politikerin): Der Entwurf enthält eine Reihe von wirklich guten Verbesserungen. So können etwa die Menschen mit Behinderungen, die einen Assistenzbedarf haben, sehr viel mehr an Vermögen ansparen. Kaum Fortschritte und sogar auch Rückschritte gibt es allerdings für Menschen mit einer geistigen Behinderung. Sie gelten als erwerbsunfähig, auch wenn sie teils in Werkstätten arbeiten. Das halte ich für einen großen Fehler.

KNA: Sie kritisieren auch die Neuregelungen zur Eingliederungshilfe...

Schmidt: Auch hier sind Menschen mit geistigen Behinderungen die Leidtragenden. Dabei stellen sie mit rund eine halben Millionen Betroffenen die Mehrheit dieser Leistungsbezieher, von denen es insgesamt 860.000 Menschen gibt. Wenn die Regelungen nicht geändert werden, müssen viele dieser Betroffenen fürchten, ganz aus dem Hilfesystem herauszufallen. Anderen droht, dass sie gegen ihren Willen in Wohngemeinschaften oder in Pflegeeinrichtungen abgeschoben werden. Mögliche Verschlechterungen drohen ihnen auch bei den geplanten Regelungen im Pflegestärkungsgesetz III, das der Bundestag in Kürze verabschieden soll. Wir haben daher eine Petition gestartet, um auf die notwendigen Korrekturen hinzuweisen.

KNA: Glaubt die Politik, dass von dieser Gruppe der geringste Widerstand zu erwarten ist?

Schmidt: Das denke ich nicht. Aber ich muss ehrlich sagen, ich empfinde es als eine mittelbare Diskriminierung dieser Menschen. Politik und Gesellschaft behandeln Menschen mit körperlicher und solche mit geistiger Behinderung unterschiedlich. Bei Menschen mit geistigen Behinderungen hat der Fürsorgegedanke den Vorrang. Zu akzeptieren, dass auch diese Menschen Wünsche haben, alleine leben wollen oder in Urlaub fahren möchten, das ist für viele schwer nachvollziehbar.

KNA: Was ist Ihrer Ansicht nach noch unzureichend?

Schmidt: Insgesamt sind die Hürden für den Erhalt von Eingliederungshilfe sehr hoch. Menschen, die in weniger als fünf Lebensbereichen eine Einschränkung aufweisen, werden von dieser Hilfe zur Teilhabe am Leben ausgeschlossen. Das geht nicht. Für uns wäre jetzt ein Signal der Regierung wichtig.

KNA: Und wie realistisch ist es, dass Teile des Gesetzes schon Anfang 2017 in Kraft treten?

Schmidt: Das hoffen wir natürlich. Es wird darauf ankommen, wie zügig das Verfahren ist. Die Erste Lesung im Bundestag ist am 22. September. Danach beginnen die Anhörungen, allein die Länder haben bislang rund 150 Änderungsanträge, wobei sicher vieles mehrfach genannt wird. Es kommt vor allen Dingen darauf an, dass sich die Koalition einigt. Ich kenne viele Abgeordnete die Änderungen befürworten. Daher gehe ich davon aus, dass es auf jeden Fall Verbesserungen geben wird.

Das Interview führte Birgit Wilke.


Ulla Schmidt / © Markus Nowak (KNA)
Ulla Schmidt / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA