Historikerin Urbach über adelige/kirchliche Geheimdiplomatie

"Diskrete Botengänge"

Historikerin Urbach beschreibt in ihrem Buch "Hitlers heimliche Helfer" die kirchliche Geheimdiplomatie in den Jahren 1914-1940. Ein Interview über das Ausräumen eines lange gepflegten Mythos.Der Adel habe sich von Hitler ferngehalten.

Diktator, Reichskanzler und nationalsozialistische Führer Adolf Hitler  / © UPI (dpa)
Diktator, Reichskanzler und nationalsozialistische Führer Adolf Hitler / © UPI ( dpa )

KNA: Frau Professor Urbach, der Adel als heimlicher Helfer für das Dritte Reich? Was versprach sich wer davon?

Urbach: Es gab in den 1930er Jahren eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Motiven. Zuerst einmal bot Adolf Hitler den Adeligen eine politische Alternative gegen ihre Bolschewismusangst. Viele Adelige erhofften sich von ihm eine neue Statuserhöhung und Stellen für ihre Söhne - im Militär und der Diplomatie. Einige, wie der preußische Kronprinz Wilhelm, glaubten eine zeitlang ernsthaft, Hitler würde die Monarchie wiedereinführen.

KNA: Gab es noch andere Anknüpfungspunkte?

Urbach: Der international vernetzte Hochadel, der im Mittelpunkt meines Buches steht, war besonders von Hitlers Außenpolitik angezogen. Die ehemaligen Standesherren dachten zum Beispiel weiterhin großdeutsch und hofften auf einen Anschluss Österreichs.

Fürst Max Egon zu Fürstenberg und Max Egon zu Hohenlohe begrüßten darüber hinaus auch Hitlers Sudetenpolitik, die ihnen persönlich nützte. Den oberschlesischen Magnaten, wie den Familien Pless oder Henckel von Donnersmarck, erschien wiederum Hitlers Polenpolitik nützlich. Allgemein hoffte der Hochadel als Helfer Hitlers neue politische Relevanz zu erlangen. Und ihre internationalen Kontakte waren für Hitler bis Kriegsausbruch tatsächlich sehr wichtig. Sie öffneten ihm die richtigen Türen und konnten im Ausland diskret Botengänge für ihn erledigen.

KNA: Protestantischer und katholischer Adel - gab es Unterschiede?

Urbach: Nach einer Studie von Stephan Malinowski aus dem Jahr 2004 weiß man, dass der Gros des katholischen bayerischen Adels auf jeden Fall resistenter gegen den Nationalsozialismus war.

KNA: Hat der Vatikan auch heimliche Helfer eingesetzt?

Urbach: Die Kirche hat immer eine große Rolle auf dem Gebiet der inoffiziellen Diplomatie gespielt. In meinem Buch beschreibe ich die Methode und die Arbeit heimlicher Helfer über einen sehr langen Zeitraum - von 1914 bis 1940. Es geht darin nicht nur um Hilfe für Hitler sondern auch für monarchische und demokratische Regierungen.

Im Ersten Weltkrieg zum Beispiel hat es neben den offiziellen Friedensbemühungen des Papstes auch inoffizielle Versuche von Geistlichen wie dem belgischen Kardinal Mercier gegeben. Bis heute sind vor allem Geistliche ideal für diskrete Verhandlungen hinter den Kulissen. Das wurde während des Nordirlandkonflikts in den 1960er und 70er Jahren genutzt und auch der jetzige Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, hat zeitweise einen Gesprächskanal zur Boko Haram herstellen können.

KNA: Sie kämpfen für einen freien Zugang zu den Royal Archives - warum?

Urbach: Die Royal Archives betreiben eine manipulative Geschichtspolitik. Sie geben selektiv Material frei mit der Begründung, sie wären ein Privatarchiv und müssten daher nicht die üblichen Sperrfristen einhalten. Es gibt bis heute keine Regelung, die festlegt, ob diese Papiere nach 100 Jahren oder überhaupt jemals freigegeben werden. Dabei ist natürlich das gesamte Archivmaterial der Royal Archives ein essenzieller Teil der britischen Geschichte. Britische Steuerzahler finanzieren die Erhaltung dieses Materials.

Die britischen Königsfamilie ist allerdings nicht allein mit dieser bizarren Archivpolitik. Auch andere europäische Königshäuser, wie Spanien und Schweden, sperren bis heute große Teile ihres Archivmaterials. Selbst Familien, wie die Wittelsbacher, verhalten sich sehr ähnlich. Für uns Historiker ist das natürlich ein untragbarer Zustand.

KNA: Werden wir noch große Überraschungen erleben, wenn die königlichen Archive oder die Adelsarchive geöffnet werden?

Urbach: Wenn es eines Tages passiert auf jeden Fall! Bis dahin müssen wir über andere Archive Hintertüren finden. Das ist mühsam und manchmal frustrierend, aber das macht es für einen Historiker auch so spannend. Es wird einem nie langweilig!

KNA: Haben Sie schon Reaktionen auf Ihr Buch zu spüren bekommen?

Urbach: Bei einer Lesung in Norfolk, als ich über Diana Mosley sprach, der Frau des englischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley, und sie als Hitler-Groupie bezeichnete, rief eine Zuhörerin empört: Sie haben meine Patentante beleidigt!

Das Interview führte Christiane Neuhausen.

 

Quelle:
KNA