Sozialethiker zum "Fall Petra Hinz“

Wahrhaftigkeit zentral in der Demokratie

Die Affäre um den gefälschten Lebenslauf der SPD-Politikerin Petra Hinz sorgte in den vergangenen Wochen für viel Gesprächsstoff im politischen Berlin. Im Interview erklärt der Bochumer Sozialethiker Prof. Joachim Wiemeyer, warum Lügen von Politikern besonders erschüttern.

Die Essener Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD) / © Sven Hoppe (dpa)
Die Essener Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD) / © Sven Hoppe ( dpa )

domradio.de: Herr Prof. Wiemeyer, im Interview mit der Westdeutschen Zeitung zeigt sich Hinz erschüttert über die Reaktionen aus der Bevölkerung auf ihren gefälschten Lebenslauf – war das nicht abzusehen?

Prof. Joachim Wiemeyer (Sozialethiker, Ruhr-Universität Bochum): Es ist schon abzusehen. Man muss ja sehen, dass Politiker eben glaubwürdig sein müssen. Dazu gehört auch, dass sie nicht über ihren Lebenslauf täuschen. Die Wahrhaftigkeit ist ein zentrales Element der Demokratie.

domradio.de: Deshalb erschüttert es so, wenn bei Politikern Lügen herauskommen?!

Prof. Wiemeyer: Es ist so, dass die Bürger in einer komplexen Demokratie den Politikern vertrauen müssen. Und dazu gehört eben diese Wahrhaftigkeit. Nur so kann unser politisches System funktionieren.

domradio.de: Wir erinnern uns zurück an die Schlagzeilen zu Guttenberg oder Wulff. Ist Petra Hinz für ihr Vergehen von den Medien nicht vergleichsweise zahm behandelt worden?

Prof. Wiemeyer: Es geht ja hier nicht um eine strafbare Handlung, was bei Wulff zuerst im Verdacht war, aber er ist ja dann freigesprochen worden. Insofern liegt der Fall hier ein bisschen anders gelagert. Aber auch bei Guttenberg ist es vergleichbar, dass man eine Karriere fördern wollte, mit einem akademischen Grad, den man gar nicht auf redliche Weise erworben hat. Das ist eigentlich vergleichbar zu dem Fall Hinz, weil man glaubte, man brauchte einen akademischen Titel, um besser Karriere machen zu können.

domradio.de: Elf Jahre saß Petra Hinz für die SPD im Bundestag - ohne Abitur oder Ausbildung. Sollten nur ausgebildete Fachkräfte Politiker werden dürfen?

Prof. Wiemeyer: Meines Erachtens sollten Politiker eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium haben und einige Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik. Das heißt, sie sollten auch Lebensbereiche außerhalb der Politik kennenlernen. Man sollte nicht, wie Frau Hinz, mit 18 Jahren einer Partei beitreten, mit 25 Jahren schon im  Stadtrat sitzen und sonst nichts anderes als Politik in seinem Leben gemacht haben.

domradio.de: Warum – man kann das ja auch als Beruf sehen?

Prof. Wiemeyer: Politik will ja gestalten und macht Gesetze, die sie den Bürgern auferlegt. Damit diese Gesetze nicht lebensfremd sind, ist es wichtig, dass man auch das reale Leben aus einem anderen Sachverhalt kennt. Wenn man zum Beispiel ein Schulgesetz macht, ist es sinnvoll, wenn im Parlament auch Leute sitzen, die mehrere Jahre als Lehrer tätig waren, damit sie wissen was ein Schulgesetz in der Praxis bedeutet. Das gilt analog auch für viele andere Lebensbereiche.

domradio.de: Wenn nur ausgebildete Kräfte in die Politik kommen dürften - welchen Mehrwert bietet der unruhige Politikbetrieb gegenüber einem gutbezahlten Job im Mittelstand?

Prof. Wiemeyer: Politiker werden nicht schlecht bezahlt, auch als Bundestagsabgeordnete wie Frau Hinz. Man sollte als Politiker motiviert sein, gestalten zu wollen – das Gemeinwesen gestalten zu wollen, sich für das Gemeinwohl entsprechend einzusetzen. Insofern kann Politik auch ein beruflicher Aufstieg sein. Aber man sollte nicht sein ganzes Leben in dem Kalkül von Machterringung und Machterhalt betrachten und sich danach orientieren, sondern man sollte auch soziale Beziehungen außerhalb der Politik haben.

Das Gespräch führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR