Jesuiten-Flüchtlingsdienst mahnt vor Abstimmung über Maghreb-Staaten

Sichere Herkunftsländer?

Werden die "Maghreb-Staaten" Tunesien, Algerien und Marokko zu "sicheren Herkunftsländern"? Darüber stimmt der Bundesrat am Freitag ab. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst erklärt bei domradio.de seine Hoffnung auf ein Scheitern des Gesetzes.

Keine anerkannten Flüchtlinge mehr aus den Maghreb-Staaten? / © Daniel Karmann (dpa)
Keine anerkannten Flüchtlinge mehr aus den Maghreb-Staaten? / © Daniel Karmann ( dpa )

domradio.de: Die Anerkennungsquote von Asylanträgen von Menschen aus den sogenannten Maghreb-Staaten liegt momentan bei unter einem Prozent. Was ändert sich denn überhaupt, wenn die Maghreb-Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" anerkannt würden?

Stefan Keßler (Politik- und Rechtsreferent beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin): Die Betroffenen landen dann erst recht in einem Schnellverfahren, in dem ihre Rechte kaum eine Rolle spielen und in dem sie noch schlechtere Chancen als jetzt schon haben, ihre Fluchtgründe und ihre Verfolgungsgeschichte geltend zu machen.

domradio.de: Abgeordnete der Grünen und der Linken sowie mehrere Nichtregierungsorganisationen kritisieren die Gesetzesvorlage, weil in ihren Augen in den betroffenen Ländern schwere Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Wie schätzen Sie die Situation vor Ort ein?

Keßler: Nach den Informationen von Menschenrechtsorganisationen aus der Region ist die Menschenrechtslage für viele Gruppen in diesen Ländern weiterhin katastrophal. Das betrifft sowohl Personen, die als Journalisten tätig sind, als auch Demokratie-Aktivisten. Ebenso sind Personen betroffen, die eine abweichende sexuelle Orientierung haben.

domradio.de: Was würde das neue Gesetz ganz konkret für die Menschen bedeuten, die bereits jetzt einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben?

Keßler: Für die würde sich zunächst nichts direkt ändern, weil die Anwendung des Gesetzes rückwirkend auf die bereits laufenden Asylverfahren wohl nicht zulässig sein dürfte.

domradio.de: Für uns ist es selbstverständlich, auch mal nach Algerien, Tunesien und Marokko reisen zu können. Gibt es für Menschen aus den nordafrikanischen Staaten außerhalb des Asylrechts Wege, zu uns nach Deutschland zu kommen?

Keßler: Für qualifizierte Menschen wäre es unter Umständen denkbar, ein Visum für die Arbeitseinreise oder als Student zu bekommen. Aber tatsächlich gibt es für Menschen, die Schutz brauchen, kaum einen anderen Weg außerhalb der gefährlichen Mittelmeerüberfahrt.

domradio.de: Noch haben sich viele Bundesländer noch nicht entschieden, wie sie abstimmen. Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das Gesetz im Bundesrat scheitert?

Keßler: Wenn ich Orakel spielen soll, dann hoffe ich, dass das Gesetz im Bundesrat nicht die ausreichende Mehrheit bekommt, weil die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung dieser drei Länder als sichere Herkunftsstaaten nicht gegeben sind.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR