Bundestag will Massenmord an Armeniern als "Völkermord" bezeichnen

Heftiger Gegenwind

Schon 20 Länder haben die Massaker an den Armeniern als Völkermord gebranntmarkt. Deutschland tut sich schwer mit der Einordnung. Doch am Donnerstag will sich der Bundestag ein Herz fassen und eine entsprechende Resolution verabschieden.

Armenische Demonstranten vor dem Bundestag / © Stephanie Pilick (dpa)
Armenische Demonstranten vor dem Bundestag / © Stephanie Pilick ( dpa )

Cem Özdemir bekommt heftigen Gegenwind. Auf Facebook ist er mit Hitlerbärtchen zu sehen. "Ich unterdrücke Türken. Stoppt GenozidLüge", steht darunter. Doch massive Kritik am Engagement des Grünen-Chefs für die Armenier-Resolution des Bundestags kommt auch von anderer Seite: "Als deutscher Staatsbürger vermag ich keine Mitverantwortung erkennen und bin dagegen, dass Sie aus Deutschland einen Weltmeister in Völkermorden machen", wird dem Politiker in den Mund gelegt.

Streit um ein Wort

Es ist ein jahrelanger heikler Streit um ein Wort, an dem der türkisch-stämmige Özdemir an führender Stelle beteiligt ist: Soll der Bundestag die Massaker an bis zu 1,5 Millionen Armeniern, Pontos-Griechen, Assyrern und Aramäern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnen? Die Türkei räumt bisher lediglich Massenvertreibungen und gewalttätige Auseinandersetzungen ein.

Schon im vergangenen Jahr, zum 100. Jahrestag des Beginns der Gewalttaten Ende April 1915, lag dem Parlament ein entsprechender Antrag vor. Er wurde still beerdigt. Allerdings bezeichneten Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert die Massaker damals als "Völkermord".

In der Überschrift ist von "Völkermord" die Rede

Jetzt will der Bundestag einen neuen Anlauf nehmen und am Donnerstag einen gemeinsamen Antrag von Union, SPD und Grünen beschließen. In dem Text, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, kommt das umstrittene Wort schon in der Überschrift vor. "Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916", heißt es.

Im Hauptteil wird der Begriff nur einmal - und etwas verschämt - verwendet: Das Schicksal der Armenier stehe "beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist", heißt es. Ansonsten ist mehrfach von "Vertreibungen und Massakern" die Rede.

Türkeis Botschafter: "Nicht Aufgabe der nationalen Parlamente"

Es droht eine weitere Belastungsprobe in den Beziehungen zur Türkei - und das in einer Phase, in der der Flüchtlingsdeal mit Staatspräsident Erdogan auf des Messers Schneide steht. Die Türkei interpretiert den Antrag als Provokation. "Es ist nicht Aufgabe der nationalen Parlamente, über die Geschichte zu urteilen", warnte jüngst der türkische Botschafter in Deutschland, Hüseyin Avni Karslioglu. Und der neue Ministerpräsident Binali Yildirim beklagte am Montag die "haltlosen und ungerechten politischen Urteile" der geplanten Entschließung.

Auch unter deutschen Politikern ist zumindest der Zeitpunkt der Entschließung umstritten. Der frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), sagte dem "Tagesspiegel" am Mittwoch: "Wir sollten uns auf die drängenden Probleme konzentrieren und das Verhältnis zur Türkei nicht weiter verschlechtern." Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), fürchtet, dadurch würden "Türen eher zugeschlagen". Dennoch will sie der Resolution zustimmen.

Belastungsprobe für deutsch-türkische Resolution?

Wie heikel die Angelegenheit ist, ließ auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) durchblicken. "Ich hoffe, dass die deutsch-türkischen Beziehungen durch die Resolution nicht belastet werden", betonte er. Deutschland werde sich auch weiterhin für eine Verständigung "zwischen der Türkei und Armenien einsetzen". Zugleich kündigte er an, die SPD werde geschlossen abstimmen.

Ein Regierungssprecher teilte am Dienstag mit, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Gespräch mit dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan geführt habe. Sie habe zudem mit ihm über das EU-Türkei-Flüchtlingsabkommen geredet.

Zentralrat der Armenier: Resolution als wichtiges Statement

Der Zentralrat der Armenier in Deutschland hält die geplante Resolution des Bundestags über die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich für ein wichtiges Statement gegen die "professionalisierte Leugnungspolitik des türkischen Staates". Die Anerkennung des Völkermords wäre ein klares Statement gegenüber jenen, "die sich seit 100 Jahren um dieses Eingeständnis drücken", sagte die Vorsitzende des Zentralrats, Jaklin Chatschadorian, der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (Mittwochsausgabe). Auch die Alevitische Gemeinde Deutschlands begrüßte die Resolution.

GfbV: Kritik an Begrifflichkeiten

Die Menschenrechtsorganisation "Gesellschaft für bedrohte Völker" (GfbV) kritisiert die geplante Bundestags-Resolution über den Massenmord an Armeniern. Wie die "Neue Osnabrücker Zeitung" am Mittwoch berichtet, fordert sie den Bundestag auf, andere betroffenen Minderheiten christlichen Glaubens stärker einzubeziehen und sich für eine Versöhnung der Türkei mit den Nachfahren der Opfer einzusetzen.

In einem Brief an die Bundestagsabgeordneten, der der Zeitung vorliegt, schrieb GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch, der Resolutionstext sei «nicht vollständig». Es sollten unbedingt auch die Opfergruppen der Thrakischen Griechen, Pontos-Griechen und Ägäis-Griechen erwähnt werden, so Zülch.

Zülch kritisierte zudem, dass in dem Resolutionsentwurf stets von "Vertreibung" die Rede sei. Dies sei nicht gleichbedeutend mit den "Deportationen" und "Todesmärschen", die in den Jahren 1915 und 1916 stattgefunden hätten. Der GfbV-Generalsekretär forderte, dass in der Türkei "die Nachkommen der Opfer, die als 'versteckte Christen' eine Existenz der Leugnung der eigenen Identität fristen, ihre Identität wieder annehmen und offen leben dürfen". Auch andere Minderheiten - Kurden, Aleviten, Jesiden und Assyrer/Aramäer - würden in der Türkei "diskriminiert, schikaniert und haben kein Anrecht auf Gleichbehandlung".

Türkische Gemeinde: Instrument für Türkenkritik

Kritik kam dagegen von der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Die Resolution sei ein falsches Signal zu falschen Zeit, erklärte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu in der "Rheinischen Post" (Donnerstag). Das sensible Thema werde instrumentalisiert, um Türkenkritik zu üben. "Außerdem geraten die Deutsch-Türken zwischen die Fronten der Türkei und Deutschland."

Großes Gewicht legt der Antrag der drei Fraktionen auf die "unrühmliche Rolle" des Deutschen Reiches. Es habe als militärischer Hauptverbündeter des damaligen Osmanischen Reiches nicht versucht, diese "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" zu verhindern. Ziel der Resolution sei es deshalb nicht, die Türkei auf die Anklagebank zu setzen. Es gehe vielmehr um die Versöhnung zwischen Türken und Armeniern, die ohne Kenntnis der Fakten undenkbar sei.

Der Antrag betont, dass das Thema seit einigen Jahren in der türkischen Öffentlichkeit verstärkt diskutiert werde und es mehrere Initiativen zur Aufarbeitung gebe. Allerdings sei dieser Prozess ins Stocken geraten. So sei eine 2009 von den Außenministern beider Länder verabredete Kommission zur wissenschaftlichen Aufarbeitung von den Parlamenten noch immer nicht beschlossen worden.

Abstimmung ohne Merkel

Am Donnerstag werde Merkel aus Termingründen nicht an der Abstimmung teilnehmen können. Die Grünen fordern Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, anders als geplant doch am Donnerstag im Bundestag an der Abstimmung über die Armenien-Resolution teilzunehmen. Sie würde sich wünschen, dass "auch die Kanzlerin durch ihre persönliche Anwesenheit die Bedeutung dieser schwierigen und so wichtigen Debatte unterstreicht", sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, der "Bild"-Zeitung. Am Dienstag, so die Zeitung weiter, habe Merkel an einer Probe-Abstimmung in der Unionsfraktion teilgenommen und dabei für die Resolution gestimmt.


Quelle:
KNA , epd