Politikwissenschaftler analysiert katholische Positionen zur AfD

Können wir nochmal drüber reden?

In einem Abschiedsinterview hat Kardinal Lehmann einen Dialog mit der AfD vorerst abgelehnt und damit auch bei Katholiken für Unverständnis gesorgt. Doch Lehmanns Haltung ist richtig, meint Publizist Andreas Püttmann.

Wehende AfD- und Deutschlandflaggen / © Christoph Schmidt (dpa)
Wehende AfD- und Deutschlandflaggen / © Christoph Schmidt ( dpa )

domradio.de: Ähnlich wie Kardinal Lehmann argumentieren auch führende  Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Zwar wolle man sich mit den Positionen der AfD inhaltlich auseinandersetzen, auf Katholikentags-Podien hätten AfD-Politiker aber nichts zu suchen. In Ihren Augen eine richtige Entscheidung?

Dr. Andreas Püttmann (Vorstandsmitglied der Gesellschaft katholischer Publizisten): Ja, ich halte die Entscheidung für vernünftig. Es ist ja nicht die Aufgabe einer Kirche, jederzeit das Gespräch aller mit allen über alles zu organisieren, sondern Zeugnis zu geben. Und da sind schon einige Punkte bei der AfD, die sich mit dem christlichen Zeugnis nicht vereinbaren lassen. Sie ist eine in Teilen durchaus rechtsradikale und nationalistische Partei; da sind etwa die Verbalentgleisungen, dass man von demokratischen Parteien nur als "Altparteien" oder "Systemparteien" spricht, das ist das Vokabular der Gegner der Weimarer Demokratie, das geht gar nicht. Außerdem die Widerstandsrhetorik, Gewaltphantasien wie zum Beispiel die, Merkel in der Zwangsjacke aus dem Kanzleramt abführen zu wollen oder nach Chile fliegen zu lassen, durch den Volkszorn vertrieben; oder notfalls auf Flüchtlinge schießen zu lassen, das geht auch gar nicht. Interessant ist auch, dass in der AfD-Klientel mehr Vertrauen in Putins Russland herrscht als in die USA, wie wir aus Umfragen wissen. Immer wieder mal wird die deutsche Schuld aus der Nazizeit auch von AfDlern relativiert, und so lange dieser rechtsradikale Flügel um Herrn Höcke nicht aus der Partei ausgeschieden ist, hat die Kirche guten Grund, nicht Podien zu bieten für die AfD und nicht auf Augenhöhe miteinander zu sprechen.   

domradio.de: Sie selbst haben sich intensiv mit verschiedenen katholischen Positionen zur AfD auseinandergesetzt. Kardinal Lehmann und das ZdK stehen da für das, was Sie "katholischen Mainstream" nennen. Und dieser Mainstream geht klar auf Abstand zur AfD. Kann das denn funktionieren - klare Distanzierung bei gleichzeitiger inhaltlicher Auseinandersetzung?

Püttmann: Ja, das kann funktionieren. Denn viel inhaltliche Auseinandersetzung in unserer Gesellschaft findet aus der Distanz statt, etwa durch Repliken in Zeitungen. Wo Leute nie zusammen gesessen und gestritten haben, sondern der eine schreibt etwas, sozusagen einen Ball aufs Spielfeld wirft und der andere dagegen schießt. Wir müssen uns das demokratische Forum insgesamt als Einheit vorstellen. Da muss aber nicht bei jeder einzelnen Gelegenheit ein direkter Dialog stattfinden. Es ist durchaus möglich, sich mit Positionen auseinanderzusetzen ohne dabei Personen gleichsam zu adeln. Und ein Auseinandersetzen verlangt nicht immer ein Zusammensetzen, das sagt schon das Wort. Es gibt außerdem eine Möglichkeit, auch AfD-Vertreter zu sprechen kirchlicherseits, wenn sie mit der Kirche sprechen wollen: Da wären die katholischen Büros im Bund und in den Ländern Ansprechpartner, die sich vermutlich nicht verweigern, sondern sich anhören würden, was die AfD zu sagen hat und entsprechend antworten. Es kann also auch einen Dialog geben, ohne dass man ein öffentliches Podium bietet.

domradio.de: Sie machen aber eine gewisse geistige Nähe zur AfD in katholischen Kreisen aus - nämlich bei den sogenannten Rechtskatholiken. In welchen Punkten treffen sich Rechtskatholiken und Rechtspopulisten? 

Püttmann: Das eine Feld ist das Gender-Thema, etwa die traditionelle Vorstellung von Familie und der Rolle der Frau. Sehr wichtig in solchen rechtskatholischen Kreisen ist auch die angebliche Homosexualisierung unserer Gesellschaft. Da kommt einem ganz gut zu pass, dass die Rechtskonservativen auch eher traditionelle Vorstellungen von Sexualordnung pflegen. Der zweite Bereich, das gilt allerdings nicht für alle, ist die religiös-kulturelle Homogenität, dass man also den Islam sehr stark als Bedrohung wahrnimmt, religiös und kulturell. Ein weiteres Thema ist die Verachtung der so genannten Staatskirchen. Man tut so als seien die katholische und evangelische Kirche in Deutschland im Grunde ein Büttel des Staates - und nicht unabhängig. Neulich wurde zum Beispiel Kardinal Woelki als Staatsbeamter heruntergemacht. In der Ablehnung des katholischen Mainstreams und etlicher Bischöfe sind sich die Rechtskatholiken mit den Rechtspopulisten einig.

domradio.de: Als dritte und letzte Position beschreiben Sie dann die Position mancher liberaler Katholiken, die sagen "Wir müssen mit denen von der AfD" reden. Wer steht beispielsweise für einen solchen Kurs?

Püttmann: Das sind auffälliger Weise nicht so sehr Bischöfe oder Laienvertreter, sondern katholische Journalisten. Sie sind ideologisch keineswegs von der AfD irgendwie beeinflusst, aber sagen: "Lasst uns doch wenigstens miteinander reden!", weil sie eine etwas andere Einschätzung des Gefahrenpotenzials haben. Da gibt es also die Idealisten, die sagen: "Man muss sich doch mit allen irgendwie verständigen können, zumindest in einem freundlichen Agree-to-Disagree!" - dass man sich also nachher einig ist, nicht übereinzustimmen. Dann gibt es die Strategen, die sagen: "Wir dürfen der AfD doch nicht das Argument lassen, dass sie überall ausgegrenzt und ausgeschlossen wird, das nützt ihr doch nur. Also müssen wir die Inklusion machen, um ihnen dieses Argument aus der Hand zu nehmen!" Dann gibt es die Relativisten, die sagen: "Na ja, einiges von der AfD ist doch durchaus berechtigt" oder: "Insgesamt ist es doch nicht gefährlich." Und dann gibt es noch die geschäftlich Motivierten, die sich vom aufquellenden Kuchen neurechten Denkens eine Scheibe für ihr Medium abschneiden wollen; die neurechten Publikationen steigen ja massiv in der Auflage. Und da sagen einige: "Von diesen Lesergruppen möchten wir auch gerne gelesen oder angeschaut oder gehört werden!" -  Also, da gibt es ein Sammelsurium von Motivationen, die auch durchaus liberale Katholiken sagen lassen: "Lasst uns doch ein Stück weit den Dialog mit der AfD eröffnen. Wir können uns ja inhaltlich abgrenzen, aber wir können doch mal drüber reden!" 

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR