Ein Pfingstwunder in Brüssel könnte Arbeitsplätze kosten

Im Babylon der Eurokratie

Dokumente müssen in alle 24 Amtssprachen der EU übersetzt werden, und bei Debatten im Parlament darf jeder Abgeordnete in seiner Muttersprache sprechen. Die Hoffnung auf ein europäisches Pfingstwunder ist nur gering.

Autor/in:
Alexander Brüggemann und Franziska Broich
Dolmetscher in Brüssel / © Maryam Schumacher (dpa)
Dolmetscher in Brüssel / © Maryam Schumacher ( dpa )

Europa braucht mehr als nur ein gemeinsames Haus. Immer neue Bürotürme wachsen in den Brüsseler Himmel, stolz wie einst der Turm zu Babel, wo Gott die Sprachen der Erbauer verwirrte und so das vermessene Projekt zum Scheitern brachte. Da brauchte es erst wieder das Sprachwunder zu Pfingsten, als die Jünger Jesu "mit Heiligem Geist erfüllt wurden und begannen, mit anderen Zungen zu reden".

Hier, in der Euro-Metropole, liegt der Fall ein wenig anders. Im Anfang war die Sprachverwirrung - und je mehr neue Sprachen dazukommen, desto höher werden die Türme.

Mehr als 1.500 Übersetzer 

Desto größer wird aber auch eine Berufsgruppe, die den EU-Abgeordneten mehr gibt als nur eine Erst- und eine Zweitstimme: das Heer der EU-Dolmetscher und Übersetzer. 24 Amtssprachen hat die Europäische Union derzeit; und Zypern hat offiziell angefragt, Türkisch zur 25. zu machen. Darüber entscheiden können wiederum nur die Mitgliedstaaten, und alle 28 Länder müssen zustimmen - auch Griechenland.

Die Übersetzungsdienste der EU gehören zu den größten der Welt. 1.537 hauptberufliche Übersetzer arbeiten allein bei der EU-Kommission; 109 von ihnen übersetzen ins Deutsche. 2015 wurden in der Brüsseler Schaltzentrale etwa 1,9 Millionen Seiten übersetzt. Etwa genauso viele Seiten produzierten die Übersetzer im EU-Parlament. Sie haben ihren Hauptsitz allerdings in Luxemburg. Da die meisten Dokumente digital verschickt werden, ist das kein Problem. Das Parlament bietet sogar ein Praktikum speziell für Übersetzer an. Jedes Jahr haben rund 300 Absolventen die Möglichkeit, in den Sprachen-Dschungel des EU-Parlaments einzutauchen.

Der natürliche Feind des Übersetzers ist der Dolmetscher. Häufig werden sie verwechselt - doch ihre Aufgaben unterscheiden sich grundlegend. Dolmetscher übertragen von einer Sekunde auf die nächste einen Redeschwall oder einen Wutausbruch in ihre eigene Sprache. Dabei hören sie, während sie sprechen, schon weiter und haben im Kopf schon den nächsten Satz übertragen.

Auch Kulturkenntnisse nötig 

Insgesamt gibt es 552 Sprachenkombinationen bei 24 Amtssprachen. Die Dolmetscher müssen den Sinn des Gesagten voll erfassen, denn eine bloße Eins-zu-eins-Übersetzung würde in den meisten Fällen eher Unsinn ergeben. Und dazu sind genaue Kenntnisse nicht nur der Sprache, sondern auch der Diskussionsthemen und des jeweiligen Kulturkreises des Sprechers notwendig - kein leichtes Unterfangen im Brüsseler Babylon. Wenn dann noch rhetorische Unzulänglichkeiten, grammatikalische Fehler oder ein ausländischer Akzent des Redners hinzukommen, kann dem Dolmetscher schon die Lust am Job vergehen.

Das Europaparlament beschäftigt derzeit 330 Dolmetscher plus Freiberufler. Insgesamt betrug der Einsatz im Jahr 2015 allein für das Parlament 99.486 "Dolmetschtage", allein 7.534 für das deutsche Sprachreferat. Theoretisch müssten die Dolmetscher alle Sprachen der Union gleich gut beherrschen.

Da das unmöglich ist, werden für jede Muttersprache Zweier- oder Dreier-Teams eingesetzt, die das Spektrum der EU-Amtssprachen möglichst gut abdecken. Und wenn eine deutsche Dolmetscherin glaubt, dass ihr englischer Kollege besonders gut Griechisch kann, übersetzt sie eben von der englischen Übersetzung aus - "Stille Post" im Parlament.

Unerreichbarer Traum 

Auch die Kommunikation läuft längst nicht mehr nur in einer Sprache. Die Institutionen wollen die EU-Bürger in allen Ländern erreichen.

Deshalb werden auf der Website des Parlaments Artikel, Erklärungen und Infografiken über die täglichen Abstimmungen und Debatten in allen 24 Sprachen veröffentlicht. Und auch in den Sozialen Netzwerken ist das Parlament multilingual unterwegs. Über Twitter werden Nachrichten in 24 Sprachen verbreitet, die Informationsbüros des Parlaments in den Mitgliedstaaten informieren die Bürger via Facebook in ihrer Muttersprache.

Wo ein neues Pfingstwunder wie vor 2.000 Jahren in Jerusalem ausbleibt, bleibt die Vision von einem allgemeinverständlichen Europa ein Traum. Dann muss eben weiter übersetzt werden. Frohe Pfingsten also - und "happy Whitsun"? Aber das würde schon kein Brite mehr verstehen.


Quelle:
KNA