Bischof Simon Ntamwana spricht über Versöhnung im Bürgerkriegsland

"Mein Platz ist in Burundi"

Seit 2015 überzieht Burundi ein neuer Bürgerkrieg. Bischof Simon Ntamwana, der ein in Afrika viel beachtetes Versöhnungswerk gegründet hat, bleibt auch unter diesen Umständen im Land. Er wolle jedem Menschen "die Liebe zeigen", sagt er domradio.de.

imon Ntamwana, Erzbischof von Gitega in Burundi, bei einem Interview am 10. Mai 2016 in Bonn.  / © Elisabeth Schomaker (KNA)
imon Ntamwana, Erzbischof von Gitega in Burundi, bei einem Interview am 10. Mai 2016 in Bonn. / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

domradio.de: Herr Erzbischof. Wie ist das für Sie, dass nach über 40 Jahren wieder Bürgerkrieg statt Versöhnung auf der Agenda steht? Wann glauben Sie, ist Versöhnung wieder möglich?

Erzbischof Simon Ntamwana aus Burundi: Wer sich heute nicht versöhnen möchte, möchte sich niemals versöhnen. Es geht immer. Oder es geht nie. Ich habe die tiefe Gewissheit, dass jeder Mensch nur für die Liebe leben soll. Die Liebe, die alle Menschen umfasst, eben auch die, die einem nicht gefallen.

domradio.de: Ist das die Erklärung, die Sie Menschen geben, die an Gott glauben? Was sagen Sie Menschen, die mit Kirche und Glaube nichts zu tun haben?

Erzbischof Ntamwana: Das alles hat nichts mit Glauben zu tun. Nur mit Mensch sein, mit Liebe.

domradio.de: Haben die Menschen Sehnsucht nach Liebe?

Erzbischof Ntamwana: Sehnsucht ist viel zu schwach, zu wenig. Für mich geht es darum, dass ich jedem Menschen, jedem, die Liebe zeigen kann. Jeder Mensch hat eine tiefe Seele. In der Tiefe wohnt nur die Liebe. Jeder sehnt sich danach, das zu leben.

domradio.de: Seit der verfassungswidrigen Wiederwahl des burundischen Präsidenten 2015 sind mehr als 700 Menschen gestorben. Das erste Opfer war ein 16-Jähriger. Glauben Sie wirklich, die Mutter braucht jetzt Versöhnung?

Erzbischof Ntamwana: Die Mutter wird zuerst Mitgefühl, Beileid brauchen. Aber dann wird sie merken, dass ihr Kind unwiderruflich gestorben ist. Nichts wird ihn zurückbringen, nichts ihn lebendig machen. Keine Rache und kein Hass. Sie wird nicht wollen, dass ihr Kind umsonst gestorben ist. Dass es sein Leben, in dem es für seine Freiheit, seine Würde als Mensch gekämpft hat, geopfert hat, umsonst geopfert hat. Sie wird wollen, dass aus dem Opfer Leben wird, eine Quelle der Zukunft.

domradio.de: Sie haben den Mördern Ihres Bruders und Ihres Vaters auch Versöhnung angeboten. Aus dem gleichen Grund?

Erzbischof Ntamwana: Ja, ich habe ihnen Versöhnung angeboten. Ich habe den Anfang gemacht. 1972 sind 54 Menschen aus meiner Familie umgebracht worden. 1993 noch einmal viele, viele mehr.  Ich bin meinen Weg gegangen, auch mit Gott, der all das geschehen lässt.  Ich bin mehr als das, was ich in der Trauer bin.  Der Tod der Menschen ist eine Hingabe für uns alle. Wenn ich das entdecke, entdecke ich die Würde in diesen Toten. Dann kann ich wollen, dass diese Tausende nicht umsonst gestorben sind.  Dann entsteht eine Dynamik in dieser Tragödie: eine neue Versöhnung mit dem Gott, mit dem Leben.

domradio.de: Es sind Menschen zu Ihnen gekommen, die Sie töten wollten.  

Erzbischof Ntamwana: Zuerst war ich erschrocken. Aber dann habe ich Ihnen zugehört. Sie hatten echte Reue.

domradio.de: Die Gefahr ermordet zu werden ist nicht vorbei. Ihr Vorgänger wurde ermordet. Sie selber leben seit vielen Jahren in Lebensgefahr. Warum bringen Sie sich nicht in Sicherheit?

Erzbischof Ntamwana: Ich darf nicht weggehen, nicht aufgeben. Mein Platz ist in Burundi. Meine Aufgabe ist es, den Menschen den Weg zum Leben zu zeigen. Wenn dieser Weg mich mein Leben kostet, dann ist das so. Dann wird aus meinem Tod neues Leben entstehen.

domradio.de: Wie reagieren die Täter auf das Angebot, sich zu versöhnen?

Erzbischof Ntamwana: Zuerst haben sie Angst gehabt, dass ich mich rächen wollte. Es ist ein dramatisches Gefühl. Die Morde hatten kein Ziel, es ging nur darum, alle Gegenstände der Macht bei sich zu behalten. Daraus, die Nachbarn umzubringen, ist keine Lösung gekommen. Es gab keine Antwort auf die Fragen. Es ging um Geld, um Dummheit, um den Gedanken der Gruppe, der politischen oder ethnischen, um Verlockungen. Nicht um die echten Dimensionen als Mensch zu leben.

domradio.de: Dann ist ein Weg, dass diese Menschen langsam zur Vernunft zurück finden.

Erzbischof Ntamwana: Es sind Momente der Verdunkelungen. Wenn der Mensch sich in diesem Moment niederlässt, dann vergisst er, wer er sein sollte. Aber der Prozess kann ja noch weitergehen. In jedem Menschen gibt es diese Ecke im Herzen, in der er liebt. In der er sich wünscht, seine Liebe in der Welt zu leben. Ich habe kein Recht, aufzugeben. Jeder Mensch kann eine Quelle für das Gemeinwohl sein. Denn das ist das Geheimnis der Versöhnung, dass ich eine Quelle von Liebe bin. Nicht nur für mich, nicht nur für meine Freunde und Familie. Sondern auch für die, die mir feindlich sind.

Das Gespräch führte Angela Krumpen. 


Quelle:
DR