Großbritannien steht nach der Wahl vor Veränderungen

"Das tut weh"

Die Briten müssen viel wählen: Jetzt im Kommunalen, bald über Europa. Die Umwälzungen fangen schon an – vielleicht mit einem muslimischen Bürgermeister in London, auf jeden Fall mit Nationalisten.

Autor/in:
Das Interview führte Silvia Ochlast
Wahl / © Steve C. Mitchell (dpa)
Wahl / © Steve C. Mitchell ( dpa )

In Großbritannien sind Kommunalwahlen. In Schottland und Wales gibt es offenbar Einbußen für die Arbeiterpartei und in London gilt Sadiq Khan als Favorit. Das heißt: die britische Hauptstadt könnte in Zukunft zum ersten Mal von einem muslimischen Bürgermeister regiert werden.

domradio.de: Sadiq Khan ist der Favorit als neuer Bürgermeister für London. Wofür steht er politisch?

Hans-Hartwig Blomeier (Leiter Konrad-Adenauer-Stiftung London): Ich denke, Sadiq Khan steht für das, was London ausmacht: Internationalität, Migrationshintergrund würden wir in Deutschland sagen, was aber bei seiner Vita hier völlig normal ist. Als Kandidat der Labour-Partei ist er für seine eigene Partei natürlich ein gewisser Hoffnungsschimmer für die ansonsten für Labour nicht so besonders prickelnd verlaufende Wahl.

domradio.de: Er wäre der erste Moslem, der Bürgermeister der Millionenmetropole wird. Was könnte das für die Stadt bedeutet?

Blomeier: Da zuckt der Londoner müde die Schultern, weil das für seine konkrete Kommunalpolitik wahrscheinlich keine große Rolle spielen wird - und es steht für das wirklich unproblematische Neben- und Miteinander verschiedener Nationalitäten, Hautfarben und Religionen in dieser Stadt. Von daher ist das nichts Besonderes und wird auch nicht mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen. Das wird glaube ich in Deutschland intensiver kommentiert als hier in Großbritannien

domradio.de: Der nächste Bürgermeister von London tritt in große Fußstapfen. Die Stadt wurde die letzten acht Jahre vom extrovertierten Konservativen Boris Johnson regiert. Ist das eine schwere Bürde für den Nachfolger?

Blomeier: Das war glaube ich eher eine Bürde für den Kandidaten Zac Goldsmith von den Konservativen, der Boris Johnson nicht imitieren konnte, weil man Boris Johnson nicht imitieren kann. Er ist in seiner Art einzigartig, das mag man mögen oder nicht, aber von seinem Stil musste man sich distanzieren. Das ist leichter für jemanden, der auch in einer anderen Partei zu Hause ist, als für seinen eigenen Parteifreund Zac Goldsmith. Ob die Fußstapfen so groß sind, das sein dahingestellt. Wenn man sich als Bürgermeister nicht in erster Linie als Entertainer versteht, sondern als Bürgermeister, sind die Fußstapfen vielleicht nicht so groß, denn das Erbe, was Boris Johnson hinterlässt in London ist durchaus nicht nur Glanz und Gloria, sondern auch mit einigen Problemen: Immobilienpreise, Immobilienmarkt, Häuserverfügbarkeit für normale Londoner etc. Da gibt es noch einige Dinge, die da zu tun sind und das ist eher die Herausforderung für den Nachfolger - egal, von welcher Partei.

domradio.de: Bei den Regionalwahlen gibt es in Schottland und Wales Einbußen für die Arbeiterpartei. War das zu erwarten?

Blomeier: Die Einbußen in Schottland sind lediglich eine Wiederholung der nationalen Wahlen vom letzten Jahr, wo die Scottish National Party 56 von 59 nationalen Sitzen gewonnen hat. Die eigentliche Überraschung in Schottland ist nicht, dass Labour wiederum schlechter abschneidet als vor vier Jahren, sondern dass die Tories dort wirklich Terrain gut gemacht haben und die Labour Party sogar nun auf den dritten Platz verwiesen haben. Das tut weh. Für Labour ist damit klar: Die Aussichten, auch auf nationaler Ebene wieder eine Mehrheit zu bekommen, ohne Terrain in Schottland zurückzugewinnen, sind fast unmöglich. Wobei auch interessant ist, dass die SNP nicht, wie von vielen vermutet, die absolute Mehrheit erzielt hat, sondern zum ersten Mal einen kleinen Rückschlag auf hohem Niveau erleiden musste. Aber das war für die SNP sicherlich eine Enttäuschung, hier nicht die absolute Mehrheit erzielt zu haben.

domradio.de: Die Regionalwahlen gelten als Stimmungsbarometer vor dem Brexit-Referendum in sieben Wochen. Wie deuten Sie das?

Blomeier: Ich kann mir beim besten Willen nicht ausdenken, aus welchem Teil dieser Regional- und Kommunalwahlen und Polizei-Hauptkommissarwahlen man denn nun auf das Referendum schließen will. Der Riss zur EU, wo man steht, dafür oder dagegen, zieht sich durch alle Parteien, bei  genauem Hinsehen auch durch die Labour-Partei, natürlich aber in erster Linie durch die Konservative Partei. Also welches dieser Ergebnisse man jetzt wie in Puncto Referendum interpretieren will, ist mir schleierhaft.
Dass Labour geschwächt ist, ist für das Referendum sicherlich nicht hilfreich, weil sie als Partei eigentlich am ehesten Mobilisierungskapazität gehabt hätten oder haben, nun sind sie aber auch nicht so abgestraft worden, dass man sich da nun besondere Sorgen machen müsste.

domradio.de: Haben Sie für das Referendum eine Tendenz?

Blomeier: Im Moment gibt es eine Patt-Situation zwischen Befürwortern und Gegnern. Es gibt immer noch einen signifikanten Anteil von unentschlossenen Wählern, 15 Prozent, das ist relativ hoch. Die meiste Sorge bei den Beobachtern ist, wie groß denn die Wahlbeteiligung sein wird. Wem es gelingt, seine Sympathisanten an die Wahlurne zu bringen. Da sieht es auf der Seite der Austrittsbefürworter eher gut aus, die sind hochmotiviert, die werden sicher hingehen. Während bei denen, die für einen Verbleib in der EU sind, es eher eine pragmatische Kopfentscheidung ist, die nicht unbedingt dazu führt, dass man an dem Tag auf jeden Fall an die Wahlurne geht. Da liegt die größte Herausforderung und die größte Sorge für diejenigen, die Großbritannien in der EU halten möchten.


Quelle:
DR