EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zu Papst, Kirche und Armut

"Vertiefen, was uns eint"

Der Karlspreisträger 2015, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, reist für die Zeremonie für Franziskus nach Rom. Im Interview erklärt er, warum der Papst ein echter Karlspreisträger ist und was die EU von der katholischen Kirche lernen kann.

Autor/in:
Franziska Broich
Martin Schulz / © Marius Becker (dpa)
Martin Schulz / © Marius Becker ( dpa )

Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Schulz, warum hat Papst Franziskus den Karlspreis verdient?

Martin Schulz (EU-Parlamentspräsident und Karlspreisträger 2015): Die EU ist gegründet auf der Idee zu vertiefen, was uns vereint, nicht was uns trennt. Das genau ist die Botschaft von Papst Franziskus. Deshalb hat er den Karlspreis verdient.

KNA: Zum zweiten Mal erhält ein Papst den Karlspreis. Was kann die EU von der katholischen Kirche lernen?

Schulz: Bei seinem jüngsten Besuch auf Lesbos hat Franziskus noch einmal gezeigt, was unsere wertegeleitete Demokratie und offene Gesellschaft leisten müsste - und zurzeit leider nicht überall leistet. Jenen Regierungschefs, die keine Flüchtlinge aufnehmen mit der Begründung "Wir sind ein christliches Land, in dem Muslime keinen Platz haben" - denen hat der Papst dort eine Lektion erteilt.

KNA: Eines der größten Anliegen von Papst Franziskus ist es, Armut zu lindern. In Europa leben laut einem Bericht der Caritas immer noch 123 Millionen Menschen in Armut. Was tut die EU, damit sich das ändert?

Schulz: Europa muss in dem weltweiten Wettbewerb, in dem wir stehen, den ökonomischen Rahmen schaffen, um unseren Wohlstand zu erhalten und in anderen Regionen dieser Welt zu fördern. Wir erleben, dass die EU zwar diesen Rahmen schafft - aber dass es große wirtschaftliche Ungleichgewichte sowohl zwischen den einzelnen Ländern Europas als auch innerhalb dieser Länder gibt und der Wohlstand weiterhin sehr ungerecht verteilt ist. Deshalb ist ein solcher Armutsbericht im reichsten Teil der Erde ein echtes Alarmsignal.

KNA: In ihrer Karlspreis-Rede 2015 haben Sie gesagt, dass Karlspreisträger Architekten der europäischen Einigung sind. Welchen Teil des Hauses Europa hat Franziskus entworfen?

Schulz: Der Raum, in dem Wirklichkeit wird, was ein berühmter persischer Philosoph des Mittelalters, Dschalal ad-Din ar-Rumi, gesagt hat: Jenseits von richtig und falsch gibt es einen Ort, da treffen wir uns. Dieser Ort ist vielleicht das Zimmer, das der Papst in Europa baut.

KNA: Sollte Religion eine größere Rolle in unserer Gesellschaft spielen?

Schulz: Es gibt ein großes Bedürfnis nach dem Dialog zwischen den Religionen. Viele verantwortungsbewusste Menschen, ob religiös oder nicht, verstehen, dass Islamophobie extrem gefährlich ist. Sie wird zum politischen Projekt gemacht - auch der politisierte Islam mit seiner Ausgrenzungsstrategie. Deshalb ist interreligiöser Dialog mehr denn je erforderlich. Das Europaparlament veranstaltet jedes Jahr einen solchen interreligiösen Dialog. Ich habe in meinem politischen Leben gelernt, wie wichtig Religion und Glauben für viele Menschen ist, um die Orientierung in ihrem Leben zu finden, die sie brauchen.

KNA: Welche Rolle spielen die Werte des Christentums in Ihrem eigenen Leben?

Schulz: Ich bin selbst kein sehr gläubiger Mensch, aber ich bin ein Jesuitenschüler und stamme mütterlicherseits aus einer sehr katholischen Familie. Die Kirche hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt und spielt sie noch heute, ebenso für unsere Gesellschaft als Ganzes, gerade auch was den sozialen Zusammenhalt betrifft.

Christliche Werte haben für mich in meiner Alltagsarbeit eine zentrale Rolle - auch in meinem Privatleben. Menschen sollte man respektieren, so wie sie sind. Ich muss nicht alles akzeptieren, was sie tun - aber ich muss die Menschen im Grundsatz respektieren. Das prägt mein ganzes Leben: Respekt. Eines der großen Probleme unserer Zeit ist der Mangel an Respekt.

KNA: Was haben Sie mit Karl dem Großen gemeinsam? 

Schulz: Wir sind beide aus der Aachener Region. Was mich an ihm fasziniert ist, dass Karl der Große nach langen blutigen Auseinandersetzungen einen Weg gewählt hat, der für die damaligen Verhältnisse sensationell war: Diplomatie. Er hat verhandelt - und damit hat er schlussendlich auch Erfolg gehabt.


Quelle:
KNA