Kretschmann erzielt in Baden-Württemberg rund 32 Prozent

Grüner Kult

Die Grünen sind Sieger der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Winfried Kretschmann holt rund 30 Prozent. Der erste grüne Ministerpräsident erfreut sich weit über seine Partei hinaus großer Beliebtheit.

Autor/in:
Michael Jacquemain
Strahlender Sieger: Winfried Kretschmann (dpa)
Strahlender Sieger: Winfried Kretschmann / ( dpa )

30,3 Prozent - ein für die Grünen überwältigendes Ergebnis. Noch nie konnte die Öko-Partei so viele Wähler an sich binden wie bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Doch das ist weniger ein Erfolg der Partei als der Strahlkraft ihres Aushängeschildes Winfried Kretschmann geschuldet. "Grün wählen für Kretschmann" stand auf den Plakaten, garniert war der Satz mit fünf Varianten: "Regieren ist eine Stilfrage", "Verantwortung und Augenmaß", "Dem Land verpflichtet", "Leidenschaft für die Sache" oder "Menschlich und mutig handeln". Immer allein im Bild: Kretschmann.

Schon zu Beginn der Legislaturperiode hatte Ex-Regierungschef Günther Oettinger seine Partei beschworen: "Kretschmann ist Kult! Lasst ihn in Ruhe!" Und der EU-Kommissar behielt Recht. Kretschmann regierte den Südwesten fünf Jahre in präsidialer Art. Selbst ein Großteil der CDU-Anhänger sprach sich vor der Wahl dafür aus, dass der Grüne im Amt bleiben sollte. Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis legten die Grünen gegenüber der Wahl 2011 rund 6,1 Prozentpunkte zu. Die CDU stürzte in ihrer einstigen Hochburg deutlich ab - auf 27 Prozent.

Kein Bürgerschreck

Kretschmann taugte noch nie zum Bürgerschreck. Keine Latzhose, keine Jesuslatschen. Fast immer tritt der frühere Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik im Anzug mit weißem Hemd und, wie sollte es anders sein, grüner Krawatte auf. Auch in anderen Dingen erwies sich der 67-Jährige mit dem markanten Bürstenhaarschnitt als strukturkonservativ und treu gegenüber den eigenen Überzeugungen.

Gegen Widerstände in der eigenen Partei stimmte er im Bundesrat mit Union und SPD dafür, Länder aus dem früheren Jugoslawien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Und wenn Kretschmann erklärte, er bete für Angela Merkel, weil nur sie die EU zusammenhalten könne, ist das eine dieser Aussagen, die weder Gegner noch Parteifreunde zu kritisieren wagen. Kretschmann glaubt man das.

Er gilt als besonnen und nachdenklich, ist kein Mann großer Gesten und Reden. Der Mitbegründer der baden-württembergischen Grünen versucht, nüchtern, sachlich und argumentativ zu überzeugen. Glaubwürdigkeit und Integrität bescheinigt ihm sogar der politische Gegner.

Engagierter Katholik

Auch in der katholischen Kirche ist Kretschmann vielfältig engagiert: im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und im Diözesanrat der Erzdiözese Freiburg ebenso wie als Kuratoriumsmitglied der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und im Verein der Freunde der Erzabtei Sankt Martin zu Beuron. Und in Laiz, seinem kleinen Heimatdorf an der Donau nahe Sigmaringen, zählt der verheiratete Vater dreier erwachsener Kinder als Mitglied im Kirchenchor.

Kretschmann wuchs in Spaichingen im Landkreis Tuttlingen auf, "in einem liberalen, katholischen Elternhaus, in dem frei gedacht und gestritten und zugleich der ganze Reichtum des Kirchenjahres gelebt wurde", wie er über sich sagt. Aber er berichtete auch vom katholischen Internat in Riedlingen "als Hort sinnloser Disziplinierung und Verhöhnung des christlichen Liebesgebots".

In jungen Jahren Nähe zu Kommunisten

In den Jahren um 1968 engagierte sich der Student in linksradikalen kommunistischen Gruppen. Eine Phase, die er schnell als "politischen Irrtum" ansah und die ihn nach eigener Einschätzung bis heute "gegen Fundamentalismen aller Art immun macht". 1980 zog Kretschmann in Stuttgart mit fünf anderen Abgeordneten erstmals für die Grünen in den Landtag eines Flächenstaates ein. Er gehörte zu jenen in seiner Partei, für die der Glaube kein Gegensatz, sondern wichtige Wurzel für grünes Handeln ist.

1986 holte ihn der spätere Außenminister Joschka Fischer ins erste grüne Umweltministerium nach Hessen. Nach dem Bruch der dortigen Koalition arbeitete Kretschmann als Lehrer, bevor er in den Stuttgarter Landtag zurückkehrte und 2002 Fraktionschef wurde.

"Politik soll nicht Spaß machen, sondern Sinn"

Seitdem will der Mann, der die Oper mag und den Boulevardjournalismus nicht mag, die eigene Querköpfigkeit begrenzen und "integrieren, zusammenführen und zu allem was Kluges sagen". Fünf Jahre ist ihm das gelungen; jetzt sieht es nach einer weiteren Amtszeit aus.

Häufig macht Kretschmann bei öffentlichen Auftritten aus seiner gedanklichen Nähe zur jüdischen Philosophin Hannah Arendt keinen Hehl. Denn, so ein Lieblingszitat, "Politik soll nicht Spaß machen, sondern Sinn".


Quelle:
KNA