Pro Asyl verurteilt Regelungen des Asylpakets II

"Zur illegalen Flucht getrieben"

Ein erschwerter Familiennachzug für in Deutschland angekommene Flüchtlinge ist eine der Regelungen, die der Bundestag mit dem Asylpaket II beschlossen hat. "Das treibt die Menschen jetzt zur illegalen Flucht", befürchtet Pro Asyl bei domradio.de.

Flüchtling mit Kind auf dem Arm / © Matthias Balk (dpa)
Flüchtling mit Kind auf dem Arm / © Matthias Balk ( dpa )

domradio.de: Sie haben vor der Abstimmung noch an die Abgeordneten appelliert, dem Asylpaket II nicht zuzustimmen - nun ist beschlossen worden. Wie geht es Ihnen damit?

Günter Burkhardt (Geschäftsführer von Pro Asyl): Nicht so toll. Der Bundestag hat im Schweinsgalopp eine gravierende Verschärfung des Asylrechts beschlossen. Es werden Familien auf Jahre getrennt. Man will auch Kranke skrupelloser abschieben. Vor allem gibt es aber jetzt Schnellverfahren, wobei wir die große Sorge haben, dass Menschen, die verfolgt werden, dabei nicht erkannt werden und damit kein Asyl bekommen. Das wurde alles innerhalb weniger Tage durchgepeitscht, ohne dass man sich ernsthaft mit den Bedenken von Richtern, von Anwälten, der Kirchen, von Verbänden, von Pro Asyl oder Amnesty International beschäftigt hätte. Alle Organisationen haben gesagt, so geht das nicht, und heute haben die Abgeordneten dennoch mehrheitlich zugestimmt. Nicht alle, immerhin gibt es auch innerhalb der Regierungskoalition Abweichler, und außerdem hat auch die Opposition deutlich gemacht, dass es sich mit den neuen Regelungen um eine Einschränkung von Menschenrechten handelt.

domradio.de: 147 Parlamentarier haben mit Nein gestimmt, vier enthielten sich - und das waren nicht nur Abgeordnete der Opposition. Das ändert am Ergebnis nichts, aber bedeuten diese Zahlen etwas für Sie?

Burkhardt: Das ist schon wichtig, denn der Prozess wird ja weitergehen. Wir erleben im Moment, dass ein Gesetz nach dem nächsten gegen Flüchtlinge durchgesetzt wird, was an der Ursache, dem Krieg in Syrien, dem Zerfall Afghanistans gar nichts ändert. Man verschärft hier in Deutschland Gesetze und die Bevölkerung wird registrieren, dass die Flüchtlinge dennoch kommen.

domradio.de: Für Menschen, die einen eingeschränkten Schutzstatus haben, soll der Familiennachzug ausgesetzt werden, für andere Flüchtlinge reglementiert werden. Davon sollen im Regelfall auch minderjährige Flüchtlinge betroffen sein, die ihre Eltern nachholen wollen. Was für Konsequenzen befürchten Sie da?

Burkhardt: Wir sehen jetzt schon, wie die Konsequenzen aussehen. Es gehen im Moment vermehrt Frauen und Kinder in die Boote von der Türkei nach Griechenland. Seit Anfang diesen Jahres sind bereits über 400 Menschen, darunter vor allem Kinder, im Mittelmeer gestorben. Wenn der Familiennachzug überhaupt nicht mehr ermöglicht wird, dann werden die Schutzsuchenden in die Hände der Schleuser und Schlepper gezwungen und gedrängt, in die Boote zu gehen, denn legal kommt man nicht mehr hierher.

domradio.de: Die minderjährigen Flüchtlinge, die bereits bei uns sind, sollen ihre Familien nicht mehr nachholen können. Was bedeutet das?

Burkhardt: Das geht gar nicht. Wenn ein Minderjähriger da ist, wenn ein Kind da ist, dann gehören die Eltern zu dem Kind. Dass der Bundestag so etwas beschließt, ist nach meiner Sicht mit dem, was wir unter dem Schutz von Familie verstehen, in keiner Weise zu vereinbaren. Das haben die Kirchen zu Recht so stark kritisiert.

domradio.de: Die neuen Abschieberegeln, die im Schnellverfahren umgesetzt werden können, haben wir ja auch schon kurz angesprochen. Was genau bedeutet das?

Burkhardt: Das ist genau die Frage, die wir uns auch stellen, und hier werden wir sehr genau sehen müssen, was denn wie genau umgesetzt wird. Offiziell wurde immer gesagt, es ginge um diejenigen, bei denen man sowieso schnell entscheiden kann. Wir befürchten jedoch, dass alle Menschen, die ohne Pass kommen - und das sind auch Menschen aus Eritrea, bei denen das Militär den Pass eingezogen hat oder aus Syrien, wo die Schleuser den Pass kassiert haben, um ihn zu verhökern - auch in solche Schnellverfahren kommen und dann am Ende schutzlos dastehen. Das sind die Gefahr und das Risiko, vor allem vor dem Hintergrund, dass es in diesen Schnellverfahren kaum Möglichkeiten gibt, den Rechtsweg zu beschneiden. Das war ja auch das Zentrum der Kritik von Richter- und Anwaltsvereinigungen.  

domradio.de: Jetzt ist das Asylpaket II so beschlossen worden. Wird sich Pro Asyl damit abfinden?

Burkhardt: Nein. Das haben wir nie gemacht. Wir wissen, dass ein Gesetz, wenn es verabschiedet wurde, auch in einem Rechtsstaat wie Deutschland umgesetzt werden muss. Wir werden jetzt sehr genau schauen, wie das umgesetzt wird und wir werden hier eng mit Verbänden und mit Amnesty International und anderen Organisationen zusammenarbeiten, um weiter für das Menschenrecht auf Asyl und das Recht, als Familie zusammen zu leben, zu streiten. Es geht hier um sehr grundsätzliche Fragen unserer Gesellschaft vor dem Hintergrund, dass es keine einfachen Lösungen für den Syrienkonflikt, den Afghanistankonflikt oder den Irakkonflikt gibt. Das wird in den kommenden Wochen schwer werden, aber man darf nie aufgeben.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR