"Wir haben heute viele politische Protestanten, was für unsere Demokratie gut und wichtig ist. Manchmal aber entsteht der Eindruck, es gehe in der evangelischen Kirche primär um Politik, als seien politische Überzeugungen ein festeres Band als der gemeinsame Glaube", schrieb Schäuble, der selbst Protestant ist, in der Monatsschrift "Pastoraltheologie" in einem Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017.
Dem Willen der Mehrheit verpflichtet
"Das führt jedoch nicht nur dazu, dass sich Christen mit abweichenden politischen Auffassungen schnell ausgeschlossen fühlen, sondern auch - und weitaus bedenklicher - dazu, dass das Ziel politischer Einflussnahme letztlich verfehlt wird. Denn die besondere Überzeugungskraft, die von religiös motiviertem politischem Handeln ausgeht, liegt in dessen geistlicher, spiritueller Basis", erklärte er. Viele Arbeitsgruppen in der evangelischen Kirche gelten als hartnäckige Kritiker des Regierungshandelns.
Weiter mahnte Schäuble, auch Protestanten hätten in der Demokratie anzuerkennen, dass sie nicht allein ihrem politischen Gewissen verpflichtet seien, sondern dem Willen der Mehrheit. "In fast allen Fällen gelten die Prinzipien der Demokratie, nach der (fast) alle Meinungen artikuliert und in den Entscheidungsprozess eingebracht werden können, aber am Ende doch die Mehrheitsentscheidung, die in einem klar geregelten Prozess getroffen wird, gilt. Hier schießen die protestierenden Protestanten manchmal über das Ziel hinaus."