Südostasien-Expertin zum Terroranschlag in Indonesien

Gegen den liberalen Islam

Die Terrormiliz IS hat sich zu dem Anschlag in Jakarta bekannt. Für Südostasien-Expertin Monika Griebeler ein Anschlag auf alle liberalen Gläubigen dort. Ein domradio.de-Interview über das Verhältnis der Religionen in Indonesien.  

Terroranschlag in Indonesien / © Roni Bintang (dpa)
Terroranschlag in Indonesien / © Roni Bintang ( dpa )

domradio.de: Ein Anschlag von Islamisten im größten muslimischen Land der Welt - das macht ja erstmal keinen Sinn, wenn man das hört. Wie kommt es dazu?

Monika Griebeler (katholische Journalistin und Südostasien-Expertin): Mich hat das auch sehr überrascht. Andererseits ist es aber so: Wenn man in die Geschichte guckt - auch in die jüngere Geschichte der letzten 10 bis 13 Jahre - dann hat es schon mehrere solcher Anschläge gegeben. Der größte, an den sich der ein oder andere vielleicht auch noch erinnert, war 2002 der Anschlag auf eine Diskothek auf Bali, bei dem mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Dieser Anschlag wurde auch schon von einer radikal-islamistischen Organisation verübt, dem indonesischen Ableger von Al Kaida. Und der hat seitdem immer wieder auch Luxushotels angegriffen, die australische Botschaft. Aber seit 2009 war es ein bißchen ruhiger geworden.

domradio.de: Sieben Menschen sind bei dem Anschlag in Jakarta gestorben - darunter fünf Attentäter. Bei uns kommt das erstmal mit einem großen Fragezeichen an. Man denkt: Warum Indonesien? Was schätzen Sie, wie nimmt die indonesische Gesellschaft das auf?

Griebeler: Ich habe mit vielen Freunden gesprochen, die auch in Jakarta wohnen und arbeiten. Die waren auch alle überrascht, weil es jetzt ja ein Anschlag ist, wie man ihn zuletzt aus Paris kannte: auf ein Café, auf ein Einkaufszentrum, also im Grunde auf die normalen Bürger. Die meisten Indonesier sind Muslime, aber leben eher einen liberalen Islam, sind etwas toleranter. Und die sind überrascht und schockiert, sagen aber: Ja, es hat sich abgezeichnet. In den letzten Jahren hat sich die Religion auch bei uns konservativer entwickelt. Konservative Kräfte haben da ein bißchen die Macht gewonnen - radikalere Kräfte auch. Vielleicht lässt es sich so begründen, dass Anhänger der islamistischen Gruppen in Indonesien sagen: Wir müssen gegen die Feinde im Inneren vorgehen, die Feinde in unserem Land. Das sind vor allem die Polizei und das Militär.

domradio.de: ... und vielleicht auch auf die liberalen Gläubigen. Ist es auch auf die ein Anschlag?

Griebeler: Das kann man glaube ich auch so sagen. Die radikalen Kräfte sagen: Das Land zerfällt. Der moralische Verfall ist immer ausgeprägter. Die Leute trinken Alkohol. Die Sexualmoral hat sich gelockert. Es gibt große Armut und große Arbeitslosigkeit im Land. Und die einzigen Möglichkeiten, die wahren Muslimen bleiben - so ist zumindest die Überzeugung dieser radikalen Kräfte - ist, dass sie entweder Zuflucht im IS suchen oder ihr eigenes Leben für die Errichtung eines islamischen Staates in Indonesien geben, so hat es einer der Anführer auch geschrieben.

domradio.de: Wie ist denn die Situation der Christen in Indonesien?

Griebeler: Ungefähr neun Prozent der Indonesier sind Christen. Auch in meinem Freundeskreis sind ein oder zwei Christen, aber die halten das weitgehend geheim. Sie sagen zwar: 'Ich bin Christ', aber sie hängen das nicht an die große Glocke. Das liegt zum einen daran, dass in den letzten Jahren die radikaleren Kräfte ein bißchen Zuspruch gewonnen haben. Zum anderen aber auch daran, dass es in einzelnen Regionen auch immer noch zu Christenverfolgungen kommt. Der jüngste Fall war zum Beispiel im Oktober auf Sumatra, in der Region Aceh, die als streng radikale Islamisten-Hochburg bekannt ist. Da wurden Kirchen abgerissen - angeblich, weil sie illegal errichtet wurden. Andere wurden angegriffen, niedergebrannt. Gleichzeitig gibt es aber auch Berichte, dass beispielsweise im Weihnachten herum islamische Jugendorganisationen geholfen haben, Kirchen zu schützen. Also diese Verfolgung von Christen ist in Indonesien eher regional begrenzt.

domradio.de: Das heißt, das Verhältnis zwischen den Religionen ist dann auch je nach Region, auf die man schaut, unterschiedlich?

Griebeler: Ja, das kann man so sagen. Grundsätzlich ist Indonesien eigentlich ein recht tolerantes, liberales Land, das sich auch dafür rühmt, dass es viele verschiedene Ethnien und Glaubensrichtungen vereint. Heute hat der Präsident beispielsweise auch gesagt: Die Angriffe sind im Grunde ein Angriff auf uns. Wir als Nation lassen sich zwar davon nicht verängstigen, aber diese Idee von IS widerspricht der indonesischen Idee von Pluralität.

domradio.de: Glauben Sie, Indonesien bekommt diese Terrorgefahr in den Griff?

Griebeler: Das hoffe ich. Ich habe vorhin schon gesagt, seit 2009 war es weitgehend ruhig. Das liegt vor allem daran, dass die indonesischen Sicherheitskräfte viele Angriffe verhindert haben, die Situation, die Terrorbedrohung unter Kontrolle hatten. Jetzt gibt es diesen großen Anschlag - wobei, wenn man sich den anschaut, er wurde relativ stümperhaft ausgeführt. Ich hoffe, dass die Sicherheitskräfte weiterhin die Kontrolle behalten.

Das Interview führte Silvia Ochlast.  


Quelle:
DR