Konrad-Adenauer-Stiftung zur Lage in Israel

"Dritte Intifada nicht herbeireden"

Nach vermehrten Anschlägen in Israel ist es der Polizei jetzt erlaubt, arabische Viertel bei Spannungen abzuriegeln. Dr. Michael Borchard von der Konrad-Adenauer-Stiftung rät gegenüber domradio.de dazu, keine dritte Intifada herbeizureden.

Security in der Jerusalemer Altstadt / © Atef Safadi (dpa)
Security in der Jerusalemer Altstadt / © Atef Safadi ( dpa )

domradio.de: Sie arbeiten mit Israelis täglich zusammen. Wie groß ist nach Ihrem Eindruck die Verunsicherung bei der Bevölkerung angesichts der Anschläge durch Einzeltäter?

Dr. Michael Borchard (Leiter des Auslandsbüros der Konrad Adenauer-Stiftung Israel): Die Verunsicherung ist groß. Wir haben selber auch israelische Mitarbeiter bei uns im Büro und wir stellen zunehmend fest, dass die Spannung steigt, auch wenn Israelis einiges gewöhnt sind. Die Menschen macht vor allen Dingen die Einzeltäterstruktur nervös. In der zweiten Intifada gab es große Anschläge auf Busse und Cafés. Jetzt haben wir Anschläge, die von Einzeltätern verübt werden. Es ist wirklich schwer vorherzusagen, wo und wie solche Anschläge passieren. Das trägt sehr zur Verunsicherung bei.

domradio.de: Früher gab es Anschläge mit Bomben. Wie ist das relativ neue Phänomen der Einzeltäter in Israel  zu erklären?

Dr. Michael Borchard: Diese neue Situation hat meiner Ansicht nach viel mit dem sogenannten Sicherheitszaun zu tun. Man kann über diesen Sicherheitszaun menschenrechtlich mit Fug und Recht geteilter Meinung sein und man muss die Frage diskutieren, ob das, was an zusätzlicher Sicherheit gewonnen ist, die menschenrechtlich problematischen Implikationen rechtfertigt. Man kann aber definitiv sagen, dass gerade deswegen die massiven Anschläge, wie sie in der zweiten Intifada passiert sind, nicht mehr geschehen. Es ist viel schwieriger geworden, an die entsprechenden Geräte zu kommen und Bomben zu bauen. Es ist sehr viel einfacher, ein Messer zu nehmen oder sich an das Steuer eines Autos zu setzen. Das führt maßgeblich dazu, dass es diese Einzeltäterstruktur gibt.

domradio.de: Der Tourismus ist ein wichtiger Faktor für Israel. Sind die Auswirkungen schon spürbar, sind die Straßen in Jerusalem leerer?

Dr. Michael Borchard: Ich kann das im Moment noch nicht feststellen. Ich glaube auch, dass eine unmittelbare Gefahr für Touristen nicht gegeben ist. Man sollte Orte meiden, die gefährlich sind. Momentan sollte man sich von der ganzen Jerusalemer Altstadt fernhalten, insbesondere von Orten wie dem Damaskus-Tor. Aber, so zynisch das klingen mag: Touristen sind einfach nicht das Ziel. Man kann natürlich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort sein. Ich sehe jedoch keine gravierende Gefahr für Touristen. Ich halte es auch für notwendig, dem Heiligen Land nicht das Gefühl zu geben, dass man sich vor lauter Angst abwendet. 

domradio.de: Das israelische Sicherheitskabinett hat aktuell eine Reihe von Maßnahmen beschlossen. Dazu zählen das Abriegeln von arabischen Vierteln in Jerusalem oder dass die Häuser von Attentätern zerstört werden dürfen. Halten Sie diese Maßnahmen für wirksam angesichts von Einzeltätern oder geht es eher darum, dass Gefühl der Sicherheit für die Bürger zu erhöhen?

Dr. Michael Borchard: Wir stehen vor einem gewissen Dilemma. Die Wahrnehmung in Deutschland ist ja meist so, dass die Polizei und die Sicherheitskräfte von sich aus zur Eskalation beitragen. Das kann ich von hier aus nicht bestätigen. Selbst unsere palästinensischen Freunde und Gesprächspartner sagen uns sehr deutlich, dass man insgesamt die Rolle der "Israel Defense Forces" als positiv betrachtet. Und man stellt fest, dass die Armee auch im Westjordanland eher deeskalierend wirkt. Auf der anderen Seite gibt es aber eine öffentliche Meinung, die ein gewisses Maß an Druck aufgebaut hat. Nach zwei bis drei Wochen, in denen fast jeden Tag Messerstechereien und Anschläge stattgefunden haben, ist das nicht verwunderlich. Dieser öffentliche Druck verlangt nun, dass Maßnahmen getroffen werden. Im Übrigen hebt sich gerade die politische rechts-links Aufteilung, die wir bisher hatten, allmählich auf. Der Vertreter der Opposition, Jitzchak Herzog, agiert im Wesentlichen indem er sagt, Netanjahu habe die Lage nicht im Griff und er müsse deutlicher und stärker reagieren. Insofern sind wir in einer Lage, in der alle durch die politische Bank verschärfte Maßnahmen fordern. Ich habe den Eindruck, dass man sich diesem Bedürfnis nicht ganz entziehen kann. Persönlich bin ich aber der Auffassung, dass man alles machen muss, um die Lage zu deeskalieren. Ganz stark zur Eskalation trägt der Tempelberg bei. Hier haben wir im vergangenen Herbst schon eine Gleichung feststellen können: Sobald der Zugang auf den Tempelberg eingeschränkt worden ist, hat das dazu geführt, dass die Muslime das als großen Affront ansehen. Dabei ist es im Vorfeld egal gewesen, wie relevant die Sicherheitsgründe waren. In dieser Situation haben die Unruhen massiv zugenommen. In dem Moment, in dem im vergangenen Jahr US-Außenminister Kerry, Netanjahu und der jordanische König beschlossen haben, die Zugangsbeschränkung auf den Tempelberg aufzuheben, ist relative Ruhe eingekehrt. 

domradio.de: Glauben Sie denn, dass eine dritte Intifada bevorsteht, oder dass sich die Lage mit einer Regelung für den Tempelberg beruhigen kann?

Dr. Michael Borchard: Da gibt es drei Sachen, die ich für wichtig halte. Zunächst stehen wir vor einem kleinen Paradigmenwechsel. Nämlich vor der Gefahr, dass aus einem bislang doch eher nationalen und territorial geprägten Konflikt mit religiösen Einsprengseln ein religiöser Konflikt mit nationalen Einsprengseln wird. Deshalb muss man vor allem versuchen, die religiösen Probleme zu deeskalieren. Denn die erste Reform des Konflikts ist schon kaum zu handhaben und jede weitere trägt die Gefahr in sich, unkontrollierbar zu werden. Beim Thema Intifada muss man sich fragen, wer daran eigentlich ein Interesse hat. Da gibt es zwei maßgebliche Akteure. Der eine Akteur ist die palästinensische Autonomiebehörde und die hat eigentlich kein Interesse daran, eine Intifada ausbrechen zu lassen. Sie wird das Feuer eher auf kleiner Flamme lassen, weil eine große Intifada die Autonomiebehörde selbst gefährden würde. Auf der anderen Seite steht als zweiter Akteur die Hamas. Es gibt interessante Forschungen, die beweisen, dass die Zustimmung zur Hamas größer geworden ist, wenn es gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben hat. Auch deshalb sehe ich einen Grund zur Deeskalation, weil die israelische Regierung kein Interesse daran haben kann, die Hamas zu stärken. Was die reine Einschätzung angeht, haben wir die Intifada schon. Ich würde vorschlagen, dass wir und die Beobachter diese Intifada aber nicht weiter herbeireden sollten, denn das Ausmaß der Gewalt in den letzten drei Wochen war schon eklatant.

Das Interview führte Mathias Peter


Quelle:
DR