EKD-Ratsvorsitzender: Flüchtlinge aufnehmen und Handelspolitik ändern

Auch Jesus war fremd

"Christus hat gesagt: Ich bin ein Fremder gewesen, ihr habt mich aufgenommen", so Heinrich Bedford-Strohm bei domradio.de. Er fordert von einem christlichen Europa, dass alle Staaten Flüchtlinge aufnehmen, und jeder mit jedem im Gespräch bleibt.

Jean-Claude Juncker und Heinrich Bedford-Strohm  / © Olivier Hoslet (dpa)
Jean-Claude Juncker und Heinrich Bedford-Strohm / © Olivier Hoslet ( dpa )

domradio.de: Sie haben heute Jean-Claude Juncker getroffen. Was haben Sie dem EU-Kommissionspräsidenten ans Herz gelegt?

Heinrich Bedford-Strohm (Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)): Ich habe natürlich zunächst einmal von meinen Erfahrungen an der ungarisch-serbischen Grenze erzählt. Vorgestern, als ich dort stand, war die Grenz noch offen. Jetzt ist die letzte Lücke geschlossen worden. Ich habe die Flüchtlinge gesehen, die dort angekommen sind. Erschöpfte Menschen, die aber gehofft haben, dass sie jetzt in Europa gelandet sind. 

Die Frage ist nun, was mit den Menschen passiert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass sie jetzt umkehren. Ich habe gestern an der serbisch-mazedonischen Grenze, also ein Land weiter südlich, mit Flüchtlingen gesprochen. Natürlich hat keiner von denen gesagt, dass sie zurückkehren. Sie werden sich andere Wege suchen.

domradio.de: In Ungarn wurden jetzt die ersten Flüchtlinge festgenommen, die illegal - trotz Zaun - ins Land gekommen sind...

Bedford-Strohm: Es ist nicht hinnehmbar, dass Europa sich abschottet. Insbesondere wenn es sich ein christliches Europa nennen will. Christus hat gesagt: Ich bin ein Fremder gewesen, ihr habt mich aufgenommen. Dass nun ausgerechnet der Name des Christentums dazu missbraucht wird, um einen Kontinent mit Stacheldraht abzuschotten, ist nicht hinnehmbar.

Aber ich sage auch, dass es nichts nützt, die Guten und die Bösen zu kennzeichnen. Wir müssen im Gespräch bleiben. Wir müssen alle in Europa dazu bekommen, dass sie Flüchtlinge aufnehmen. 

domradio.de: Es hat schon Ende 2013 ein gemeinsames Papier der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland gegeben. Da wurde auf die Situation in Syrien aufmerksam gemacht. Es wurde um mehr Hilfen gebeten. Haben Sie damals eine solche Entwicklung schon vorausgesehen?

Bedford-Strohm: Niemand kann solche Entwicklungen voraussehen. Die brutale Gewalt in den Ländern des Nahen Ostens, insbesondere durch den IS, hat wohl niemand vorausgesehen. Dass da eine richtige Völkerwanderung entsteht, ist nachvollziehbar. Ich bin vor einem Jahr im Irak gewesen und hab die Flüchtlingslager in Kurdistan besucht. Dort habe ich Menschen getroffen, die Angst hatten und gesagt haben: Wenn uns hier niemand schützt, dann gehen wir. Und jetzt sind viele Menschen gegangen. Wir können da nicht sagen: Wir schotten uns ab. Es ist schwer, aber wir müssen alles tun, was wir können, um so viele wie möglich würdig zu empfangen.

domradio.de: Margot Käßmann hat gesagt, wir - der Westen - bekämen jetzt die Quittung. Der Westen verdient am Handel mit Waffen und der Ausbeutung von Rohstoffen - und jetzt sei Zahltag. Sind Sie auch dieser Ansicht?

Bedford-Strohm: Jedenfalls ist es natürlich so, dass es Fluchtursachen gibt, die auch mit dem Handeln unserer Staaten zu tun haben. Ich sage sehr deutlich, dass Handelspolitik die Politik der Zukunft ist. Wenn wir in den Handelsbeziehungen nur unsere eigenen wirtschaftlichen Interessen durchsetzen wollen und die Länder etwa Afrikas am Markt keine Chance haben, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Menschen keine Perspektive haben und ihr Land verlassen. Auch das Thema Waffenexport ist wichtig. Wenn wir nicht restriktiv mit diesem Thema umgehen, dann tragen wir auch dazu bei, dass Waffen an den falschen Orten und in den falschen Händen sind.

 

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR