Misereor-Vorstand Spiegel zum G7-Gipfel

"Wir brauchen Verbindlichkeit"

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen tagt im bayerischen Elmau der G-7-Gipfel. Misereor-Vorstand Pirmin Spiegel erklärt im Interview, welche Erwartungen er an das Treffen hat, und warum der Alternativgipfel wichtig ist.

Misereor-Chef Pirmin Spiegel (dpa)
Misereor-Chef Pirmin Spiegel / ( dpa )

KNA: Herr Spiegel, der G7-Gipfel soll auch auf die bevorstehenden UN-Konferenzen vorbereiten. Was fordern Sie?

Spiegel: Die G7 oder G8 haben nicht mehr den internationalen Stellenwert wie früher; die Vereinten Nationen haben eine größere Wirkung. Da die G7-Staaten aber immer noch die Hälfte des weltweiten Reichtums vereinen, kann der Gipfel Signalwirkung haben. Wir hoffen zum Beispiel auf klare Signale für einen konsequenten Ausstieg aus der fossilen Energie oder ein deutliches Bekenntnis zu den 17 Entwicklungszielen, die im September in New York verabschiedet werden sollen. Beides wäre wichtig, um die bevorstehenden UN-Konferenzen zum Erfolg werden zu lassen.

KNA: Die Nachhaltigen Entwicklungsziele sollen erstmals Industrienationen in die Pflicht nehmen. Wozu müssen sich die G7 verpflichten?

Spiegel: Als erstes ist es notwendig, dass die G7-Staaten sich zu den 17 Nachhaltigkeitszielen verpflichten, ohne einzelne aufzuweichen. Zudem sollten sie die Gültigkeit der Ziele für alle Länder, auch uns selber, anerkennen. Das ist ja gerade das Neue, dass es nicht mehr Ziele sind, die Reiche für Arme definieren. Der Entwicklungsgedanke muss sich verändern, so dass alle einen Beitrag leisten. Dabei müssen die Würde aller Menschen und der Schutz der Ressourcen im Vordergrund stehen. Dieses Signal wäre wichtig für die UN-Konferenzen.

KNA: Wie optimistisch sind Sie?

Spiegel: Wir sehen beim Textilbündnis des Bundesentwicklungsministeriums, wie schwierig es ist, Standards zu erarbeiten. Für uns ist Freiwilligkeit aber keine Lösung. Wir brauchen Verbindlichkeit. Ich glaube, Deutschland hat die Chance zu zeigen, dass sich mit Verbindlichkeit etwas bewegen lässt.

KNA: Für die Nachhaltigen Entwicklungsziele steht der Kampf gegen Hunger an erster Stelle. Wie erfolgreich war er bislang?

Spiegel: Bei steigender Weltbevölkerung wird die Zahl der Hungernden von etwa 800 Millionen wohl stagnieren. Entscheidend ist, eine nachhaltige ökologische Landwirtschaft aufzubauen und lokale Kleinbauern zu fördern. Dafür braucht es transparente finanzielle Verpflichtungen der Industrieländer, die gemeinsam mit den Partnern vor Ort festgelegt werden sollten. Mit so definierten Zielen wird der Hunger vor 2030 beendet sein.

KNA: Viele der sehr armen Länder sind rohstoffreich, zum Beispiel Liberia; trotzdem fehlt es der Bevölkerung an nahezu allem. Tragen die Länder selbst Schuld daran?

Spiegel: Der Zusammenschluss der afrikanischen Bischofskonferenzen SECAM hat Anfang des Jahres drei große Herausforderungen für Afrika formuliert: Der Kampf gegen Hunger, gegen Gewalt und eine gute Regierungsführung. Ohne letztere ist es kaum möglich, die Lage im Land dauerhaft zu verbessern. Daher muss Hilfe und Entwicklung immer lokal, national und international stattfinden. Hier muss die internationale Gemeinschaft auch Druck auf nationale Regierungen ausüben.

KNA: Ein Kernthema der G7 ist Gesundheit. Vor allem aus der Ebola-Epidemie möchte die Kanzlerin Lehren ziehen. Welche sollten das sein?

Spiegel: Wenn in Westafrika bessere Gesundheitssysteme existiert hätten, auch weit ab der Städte, wäre die Krise sicherlich anders verlaufen. Die Stärkung der Gesundheitsversorgung ist essenziell. Schnelle Notfallteams von außen greifen aus unserer Erfahrung zu kurz. Es braucht immer eine Kooperation mit den lokalen Strukturen, auch bei der Soforthilfe. Wir müssen auf örtliche Strukturen setzen und diese weiterentwickeln und stärken. Dabei dürfen wir bekannte Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria oder Aids nicht vernachlässigen.

KNA: Sie haben Vorbehalte gegen schnelle Nothilfeteams. Das Bundesentwicklungsministerium plant mit seiner Weißhelm-Truppe ein solches Team.

Spiegel: Bei einer Epidemie könnte eine solche Initiative aus Solidarität ganz sinnvoll sein. Aber auch eine Schnelleingreiftruppe kann nicht ohne lokale Strukturen arbeiten. Es braucht die kulturelle Sensibilität und die Zusammenarbeit mit Medizinern im Land. Zudem muss die internationale Gemeinschaft die nationalen Regierungen auffordern, ihre Gesundheitssysteme zu stärken.

KNA: Das Thema Flüchtlinge steht nicht offiziell auf der Gipfel-Agenda.

Spiegel: Von den 51 Millionen Flüchtlingen weltweit nimmt Deutschland weniger als ein Prozent auf. Die große Mehrheit bleibt in den betroffenen Ländern und in den Nachbarstaaten. Ich denke nicht, dass es beim Gipfel zu öffentlichen Beschlüssen kommt, aber die G7 sollten das Thema «Flucht» aufgreifen und zwar aus der Perspektive der Krisenländer. Wir müssen die Fluchtursachen angehen.

KNA: Misereor beteiligt sich auch am Alternativgipfel. Was bezwecken Sie damit?

Spiegel: Es gehört zum Wesen der Demokratie, dass wir nicht nur - quasi von innen - konstruktive Dialage mit den Politikern führen, sondern auch von außen zeigen, was unsere weitergehenden Forderungen sind. Daher werden wir auf dem Alternativgipfel unsere Kompetenzen einbringen und an der ein oder anderen Fragestellung deutlich machen, welche tiefgreifenderen Verhaltensänderungen wir brauchen. Ebenso wichtig ist, dass auf einem solchen Gipfel der Alternativen auch die Menschen zu Wort kommen werden, um die es uns eigentlich geht. An den Demonstrationen beteiligen wir uns nicht.

KNA: Die hohen Kosten für den G7-Gipfel stehen in der Kritik.

Spiegel: Das ist bei jedem Gipfel so. Mehr Bescheidenheit wäre mehr als ein wichtiges Symbol und würde den zu verhandelnden Inhalten größere Authentizität geben. Andererseits sollten wir uns bei den Dingen, die wir zu kritisieren haben, auf die Inhalte konzentrieren.

KNA: Entwicklungsminister Müller will Entwicklungszusammenarbeit und Religion enger verknüpfen - ein sinnvoller Ansatz?

Spiegel: Religionen können sowohl zum Frieden als auch zur Gewalt beitragen. Nicht selten werden Religionen auch für Zwecke von bestimmten Gruppen instrumentalisiert. Die negativen Effekte, die Religionen haben können, sind vielfach diskutiert. Glaube motiviert Menschen zugleich, für eine gerechtere Welt einzutreten.  Die Frage ist: Wie kann aber das entwicklungsfördernde und friedensstiftende Potenzial von Religionen - besser gesagt: von religiösen Menschen - gestärkt werden? Wie können religiöse Menschen, etwa 80 Prozent der Menschheit, dazu beitragen, aus ihrem persönlichen Glauben und ihren religiösen Organisationen heraus die Lebensbedingungen für alle Menschen zu verbessern helfen? Darüber hinaus: Wie können Menschen lernen, mit Menschen friedlich zusammen zu leben, die andere Werte, andere Traditionen, andere Vorstellungen von dem, was gilt, haben?  In diese Richtung geht die Suche des Ministers. Falsch wäre ein Bekehrungsansatz, aber ich glaube nicht, dass das die Idee des Ministers ist. Vielmehr bringen religiöse Gemeinschaften Erfahrungen mit, vertreten Werte und verfügen über Strukturen, diese umzusetzen. Diese Kompetenz, bei aller Ambivalenz, kann einen Beitrag für eine gerechtere Welt leisten.

KNA: Kann diese Vermischung von Religion und Politik Gefahren bergen?

Spiegel: Religionen sind immer politisch, weil sie die transzendente Dimension des Menschseins ins öffentliche Bewusstsein bringen. Die Gefahren, die von Religionen ausgehen können, sieht der Minister durchaus. Wir wissen, dass in der Kolonialzeit etwa in Lateinamerika das Christentum auch instrumentalisiert wurde. Das darf nicht wieder passieren. Religion darf nicht missbraucht werden, um einseitig Interessen durchzusetzen. Aber worum es geht: die Potenziale von Religionen zu erschließen im Sinne eines Weltgemeinwohls. Dafür stehen wir als katholisches Hilfswerk ein.

Das Interview führte Anna Mertens


Quelle:
KNA