Pater Nikodemus zum Leben als Deutscher in Israel

"Junge Israelis lieben Deutschland heiß und innig"

Pater Nikodemus Schnabel erlebt als Benediktinermönch in Jerusalem, dass viele Israelis mit Deutschland Fußball und Feste verbinden. Gegenüber Israel gebe es unter Deutschen Antisemitismus und legitime Kritik, sagt er domradio.de.

Pater Nikodemus Schnabel (DR)
Pater Nikodemus Schnabel / ( DR )

domradio.de: Wie ist es, als Deutscher in Israel zu leben?

Pater Nikodemus Schnabel: Intensiv. Ich glaube, es geht jedem so, der als Deutscher in das Land kommt: Man fragt sich, wie man aufgenommen wird. Man kennt ja die deutsche Geschichte und weiß von der deutschen Schuld. Es ist wirklich überraschend, dass man schnell erlebt, dass die Israelis gerade aus meiner Generation - ich bin 1978 geboren - signalisieren: Du bist herzlich willkommen. Deutschland ist eher Bayern München, Schalke 04 und Oktoberfest, als Ausschwitz, Dachau und Buchenwald.

domradio.de: Spielt das 50-jährige Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen in Israel auch so eine große Rolle?

Schnabel: Es gibt in Israel natürlich schon Veranstaltungen - aber ganz wie in Deutschland ist es nicht. Das ist aber auch natürlich. Wir waren die Täter, wir haben ein viel vitaleres Interesse, zu sagen, dass wir diplomatische Beziehungen mit dem Judenstaat haben wollen. Natürlich wird das Jubiläum zur Kenntnis genommen, aber das Tagesgeschäft ist doch dominanter. 

domradio.de: Wenn man in Deutschland die israelische Politik kritisiert, wird einem schnell Antisemitismus vorgeworfen. Erleben Sie das auch so?

Schnabel: Das ist ein schwieriges Thema. Es gibt - glaube ich - tatsächlich einen Antisemitismus, der sich hinter einer Israelkritik verbirgt. Da wird generalisiert: Die Israelis, die Juden. Da wird es widerlich. Es gibt aber auch die legitime Kritik unter Freunden, dass man sagt, auch wenn wir als Deutsche hinter Israel stehen, haben wir auch als Freunde das Recht, den ein oder anderen Punkt anzusprechen. Ich glaube, der Ton macht die Musik. Man spürt auch ganz klar, geht es um freundschaftliche Kritik oder eine neue Spielart des Antisemitismus.

domradio.de: Sie erleben in der Dormitio-Abtei ihre Studenten, junge Menschen also. Wie erleben Sie bei denen die Geschichtsverarbeitung?  

Schnabel: Ich glaube so, wie ich es auch von mir selbst erzählt habe. Alle kommen mit diesem Ballast, wenn Sie das erste Mal das Land betreten. Darf man überhaupt im Bus, im öffentlichen Nahverkehr, Deutsch sprechen? Wie reagieren die Menschen, wenn sie realisieren, dass ich Deutscher bin? Und dann sind die Studenten immer positiv überrascht, wie schnell das Verhältnis entkrampft und dass gerade die jungen Israelis Deutschland heißt und innig lieben - Stichwort Berlin zu Beispiel. Dort leben ja über 20 000 Israelis. Angela Merkel gilt als eine der beliebtesten Politiker überhaupt auf der Welt. Das sind Aha-Erlebnisse. Alle denken: Man sieht Buchenwald auf meiner Stirn. Dabei sieht man da Berlin, Angela Merkel oder Schalke 04. 

domradio.de: Was für eine Rolle hat die Kirche beim Versöhnungsprozess gespielt?

Schnabel: Die deutschen Kirchen - die evangelische und die katholische - haben schon vor 1965 eine große Rolle gespielt. Da gab es schon erste Kontaktaufnahmen von kirchlicher Seite hin nach Israel. Meine Abtei zum Beispiel ist schon seit 1898 da und war deshalb als deutschsprachige Abtei eben schon vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen 1965 vor Ort. Ich glaube, die Kirche war Vorreiter.

Dieses Jahr feiern wir auch 50 Jahre "Nostra Aetate" ( "Erklärung über die Haltung der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen" des Zweiten Vatikanischen Konzils, Anm.d.Red.). Da ist die Weltkirche ja auch gleichzeitig zum deutschen Zugehen auf Israel auf das Judentum zugegangen. Man kann sagen, das politische Ereignis ist parallel zum interreligiösen Dialog passiert. Das muss eine spannende Zeit gewesen sein. 

domradio.de: Sie leben in Jerusalem und sind auch Auslandsseelsorger mit einer spannenden Gemeinde. Wen betreuen Sie?

Schnabel: Meine Gemeinde sind alle deutschsprachigen Katholiken in Israel und Palästina. Das heißt meine Gemeinde geht über die Grenzen und lebt in verschiedenen Kontexten. Das heißt, ich habe Gemeindemitglieder deren Kinder perfekt Arabisch sprechen, weil sie mit einem Palästinenser verheiratet sind. Und es gibt Kinder, die perfekt Hebräisch sprechen, weil sie mit einem Juden verheiratet sind. Das ist schon interessant. Die meisten in der Gemeinde sind aber zum Beispiel Journalisten, Diplomaten und Mitarbeiter der politischen Stiftungen. Insgesamt sind es in Tel Aviv und Jerusalem so etwa 250.

Die Fragen stellte Uta Vorbrodt.

 

Quelle:
DR