Bundesverfassungsgericht verhandelt über Betreuungsgeld

"Herdprämie" auf dem Prüfstand

In Karlsruhe wird das Betreuungsgeld auf den Prüfstand gestellt. Der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Sell ist erklärter Gegner des Betreuungsgeldes. Er verweist auf regionale Unterschiede bei der Inanspruchnahme.

Autor/in:
Anna Mertens
Betreuung zu Hause (KNA)
Betreuung zu Hause / ( KNA )

In Baden-Württemberg werde das Betreuungsgeld am häufigsten in Anspruch genommen. Im Osten und Teilen Norddeutschlands werde das Betreuungsgeld dagegen mit einer gewissen Distanz und Skepsis betrachtet. Zudem kritisiert der Wissenschaftler die Handhabung des Betreuungsgeldes in Hartz-IV-Familien. Das Betreuungsgeld wird vollständig auf den Hartz-IV-Bezug angerechnet. Damit werde die elterliche Erziehungsleistung in wohlhabenden Familien anders honoriert und widerspreche der Gleichberechtigung, meint Sell.

Politischer Streit über moderne Erziehung

Mit viel Herzblut hat die bayerische CSU dafür gekämpft: Das Betreuungsgeld sei "der richtige Weg", bekräftigte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeld. Es sei das Gegenstück zum Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für unter Dreijährige und bringe Eltern mehr Freiheit.

Lobende Worte für etwas, das vorrangig auf Kritik stößt. SPD, FDP, Grüne, Linkspartei, aber auch Teile der CDU sehen die Familienhilfe kritisch. Die sogenannte Herdprämie fördere ein überholtes Rollenbild und halte Eltern aus bildungsfernen Schichten vom Kita-Besuch ab. Zu den Kritikern gehört auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Nun muss ihr Ministerium vor Gericht das Betreuungsgeld verteidigen. Die Kirchen haben sich unterschiedlich positioniert: Die evangelische Kirche lehnt die Leistung ab, die katholischen Bischöfe sind für die Familienhilfe.

Hamburg sieht Gleichheitsgrundsatz verletzt

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt ab Dienstag über das Betreuungsgeld. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat geht es unter anderem um die Frage, ob der Bund überhaupt für ein solches Gesetz zuständig sei. Das Grundgesetz akzeptiere bewusst unterschiedliche, regional verankerte Wertvorstellungen, argumentiert der Stadtstaat. Zudem sieht die Hansestadt den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Eine finanzielle Förderung für das Aufwachsen außerhalb öffentlicher Kinderbetreuungseinrichtungen sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. In erster Linie halten die Hamburger aber das Betreuungsgeld für politisch falsch, weil es aus ihrer Sicht Anreize für Frauen schafft, zu Hause zu bleiben.

Das Betreuungsgeld ist eine staatliche Familienleistung, die seit dem 1. August 2013 greift. Eltern können die Mittel beantragen, wenn sie für ihren Jungen oder ihr Mädchen keine frühkindliche Förderung in öffentlich geförderten Tageseinrichtungen oder Kindertagespflege in Anspruch nehmen. Das Betreuungsgeld kann ab dem 15. bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats des Kindes bezogen werden. Als die Leistung eingeführt wurde, lag der Förderbetrag zunächst bei 100 Euro im Monat, seit August 2014 sind es 150 Euro monatlich.

Das Bundesverfassungsgericht wird am Dienstag wohl keine Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Leistung fällen. Schließlich geht es nicht um eine politische Einschätzung, sondern darum, ob das Gesetz im Widerspruch zum Grundgesetz steht. Die Klage liegt bereits seit mehr als zwei Jahren bei den Karlsruher Richtern. Der Hamburger Senat hatte sie bereits im Februar 2013 eingereicht.

Im Koalitionsvertrag konnte sich die SPD nicht durchsetzen

Federführend bei der Ausarbeitung der Klage war Ralf Kleindiek, damals Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde. Nun kommt Kleindiek erneut eine wichtige Rolle zu. Er wird am Dienstag in Karlsruhe das Bundesfamilienministerium als Staatssekretär vertreten. Dieses Mal tritt er gezwungenermaßen als Befürworters der Betreuungsgeldes auf, schließlich wird die Leistung von seinem Ministerium politisch verantwortet. Auch wenn sich Bundesfamilienministerin Schwesig gegen die Einführung eines Betreuungsgeldes ausgesprochen hatte - im Koalitionsvertrag konnte sich die SPD nicht durchsetzen. Schwesig und die SPD setzen seitdem auf die Verfassungsklage Hamburgs.

Nicht nur die Abgeordnete Hasselfeldt dürfte skeptisch sein, inwiefern Kleindiek seine Rolle als Verteidiger des Betreuungsgeldes ernst nimmt. "Staatssekretär Kleindiek verteidigt am Dienstag das Betreuungsgeld, das er in anderer Funktion einst bekämpft hat. Hier liegt also ein Interessenkonflikt vor", betonte Hasselfeldt. Er müsse über seinen Schatten springen und gewissenhaft die nötigen Argumente gegen die Klage vorbringen, forderte sie. "Sie können sicher sein, dass wir seinen Auftritt vor dem Bundesverfassungsgericht genau analysieren werden", so die CSU-Politikerin.

Unterdessen steigt das Interesse am Betreuungsgeld weiter. Von Oktober bis Dezember 2014 bezogen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 386.483 Eltern die Familienleistung. Im ersten Quartal 2014 waren es noch rund 146.000 Eltern und im zweiten Quartal 224.400. Dabei ist die Förderung vorrangig eine Unterstützung der Mütter: Mehr als 90 Prozent der Bezieherinnen sind Frauen.


Quelle:
KNA