Otto von Bismarck: 200. Geburtstag

"Nach Canossa gehen wir nicht"

Er war die treibende Kraft beim Kulturkampf, dem Streit zwischen der katholischen Kirche und der Regierung in Preußen im 19. Jahrhundert: Otto von Bismarck. Am Mittwoch war der 200. Geburtstag des damaligen Reichskanzlers.

Otto von Bismarck (dpa)
Otto von Bismarck / ( dpa )

"Es handelt sich hier um einen großen Kulturkampf." Der Mediziner Rudolf Virchow gab dem Großkonflikt 1873 seinen Namen. Seit 1871 war der Streit zwischen katholischer Kirche und Regierung in Preußen-Deutschland eskaliert. Auf dem Prüfstand stand das Verhältnis zwischen Kirche und Staat. Erst 1878 kam es wieder zur Annäherung. Diplomatisch beigelegt wurde die Krise jedoch erst ein Jahrzehnt später. Am 23. Mai 1887 erklärte Papst Leo XIII. den "Kampf, welcher die Kirche schädigte und dem Staat nichts nützte", für beendet. Treibende Kraft des Konflikts auf Regierungsseite war Reichskanzler Otto von Bismarck, der am 1. April vor 200 Jahren geboren wurde.

In ganz Europa wurden im 19. Jahrhundert die Machtverhältnisse zwischen Kirche und Staat neu bestimmt. Verfügte die Kirche seit dem Mittelalter über großen Einfluss auf Schulsystem, soziale Einrichtungen und gesellschaftliche Institutionen, versuchte der liberale Staat, die Gestaltung in die eigene Hand zu nehmen. 1864 verurteilte Papst Pius IX. im "Syllabus Errorum" vermeintliche Irrlehren der Moderne, darunter Sozialismus, Kommunismus und Liberalismus. Das Erste Vatikanische Konzil (1869-1870) erklärte die Unfehlbarkeit des Papstes in "Religion und Sitten".

Bismarck: Zentrumspartei verlängerter Arm des Papstes

In diesem Versuch, die päpstliche Autorität über nationale Grenzen hinweg zu festigen, sahen Reichskanzler Bismarck und mit ihm viele Liberale einen Angriff auf das 1871 aus der Taufe gehobene Deutsche Reich. Das umso mehr, als die Katholiken sich seit 1870 in der Zentrumspartei organisierten und verlangten, die Rechte der Kirche gegenüber dem Staat zu schützen. Gefährlich war nach Bismarcks Meinung auch die Zusammenarbeit des Zentrums mit den Minderheiten der Polen, Elsass-Lothringer und Dänen. Er denunzierte die Partei und ihren Sprecher Ludwig Windthorst als verlängerten Arm des Papstes und als Reichsfeinde.

Ab 1871 eskalierte die Situation: Zunächst ließ der Eiserne Kanzler die katholische Abteilung im preußischen Kultusministerium auflösen, die Interessenvertretung der Katholiken im überwiegend protestantischen Preußen. Ende 1871 folgte der "Kanzelparagraph", nach dem Geistliche mit Haftstrafen belegt wurden, wenn sie ihre Predigt für politische Äußerungen missbrauchten. Ein Jahr später übernahm der Staat die Schulaufsicht und verbot den Jesuitenorden. Außerdem wurden die Beziehungen zum Vatikan abgebrochen. Im Reichstag bekräftigte Bismarck polemisch: "Nach Canossa gehen wir nicht."

Katholiken empfanden sich als Bürger zweiter Klasse

1873 wurde in den "Maigesetzen" eine staatliche Abschlussprüfung für Geistliche eingeführt. Darüber hinaus behielt sich der Staat ein Einspruchsrecht bei der Vergabe geistlicher Ämter vor. Viele kirchliche Stellen verwaisten. 1874 wurde zunächst in Preußen, später im ganzen Reich, die Zivilehe bindend eingeführt. 1875 wurden alle geistlichen Orden verboten. Außerdem verfügte das "Brotkorbgesetz", alle staatlichen finanziellen Zuwendungen an die Kirche einzustellen.

Der Druck Bismarcks schweißte die Katholiken zusammen; das Zentrum gewann Wähler. Andererseits wurde der Kulturkampf für viele Katholiken zur traumatischen Erfahrung. Sie empfanden sich als Bürger zweiter Klasse. Das sollte auch Auswirkungen auf das Verhalten der Kirche im Ersten Weltkrieg und gegenüber den Nationalsozialisten haben.

Entspannung zwischen Kirche und Staat

Aber auch Bismarck erreichte nicht alle Ziele. Zwar wurden mit der Zivilehe und der Staatsaufsicht über die Schulen bis heute geltende Reformen eingeführt. Doch der Eiserne Kanzler vergiftete die politische Atmosphäre nachhaltig. Zudem entfernte er sich von seinen protestantisch-ultrakonservativen Förderern.

1878 war Bismarck bereit, sich mit den Katholiken zu arrangieren, weil er ihre Zustimmung zu den Sozialistengesetzen benötigte. Die Aussöhnung wurde erleichtert, als Pius IX. starb und mit Leo XIII. ein kompromissbereiterer Papst folgte. Die Gesetze wurden gemildert. 1882 nahm Preußen wieder Beziehungen zum Vatikan auf. Die 1886 und 1887 erlassenen Friedensgesetze legten den Konflikt offiziell bei. Das Jesuitengesetz allerdings wurde erst 1917, der Kanzelparagraph erst 1953 aufgehoben.


Quelle:
KNA