Schnittmengen zwischen "Pegida" und fundamentalistischen Christen

Angst und Ressentiments

Der Sektenbeauftragte Harald Lamprecht, sieht Übereinstimmungen von "Pegida" mit fundamentalistischen Christen. Der Historiker Paul Nolte sieht in der "Pegida"-Bewegung ein regional und zeitlich begrenztes Phänomen.

Pegida-Demo in Dresden  (dpa)
Pegida-Demo in Dresden / ( dpa )

Es gebe "sicher eine Schnittmenge zwischen fundamentalistischen Positionen innerhalb des Christentums und den 'Pegida'-Demonstranten", sagte der Sektenbeauftragte der sächsischen Landeskirche Harald Lamprecht der "Welt am Sonntag". Da sei vor allem "die Angst vor dem Islam und vor einer Überfremdung durch vermeintlich zu viele Flüchtlinge".

Lamprecht fügte hinzu, ihm seien rechte Ressentiments schon in einigen Gemeinden Sachsens begegnet, in denen er Vorträge gehalten habe. Allerdings kenne nur eine kleine Minderheit der Leute, die solche Ängste äußern, einen Muslim persönlich.

Der Sektenbeauftragte sieht die "Pegida"-Demonstrationen in Dresden jedoch vor allem als "Wallfahrtsort für Menschen", die "ihr Unbehagen nach außen tragen wollen". Die meisten der Protest-Teilnehmer seien keine Christen, sondern entstammten "dem religionsdistanzierten bis dezidiert religionskritischen Milieu des sächsischen Normal-Atheismus".

Zugleich warnte der Sektenbeauftragte vor "Pegida". "Ich bin erschrocken über die vielen rassistischen Aussagen in diesem Umfeld", sagte Lamprecht. "Es ist eine Katastrophe, wie hier über Menschen geredet wird."

Historiker Nolte: "Pegida" ohne lange Lebensdauer

Der Historiker Paul Nolte sieht in der islamfeindlichen "Pegida"-Bewegung ein regional und zeitlich begrenztes Phänomen. "Meine Prognose ist, dass dieser Bewegung keine besonders lange Lebensdauer beschieden sein wird", sagte der Berliner Geschichtsprofessor dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Pegida" sei stärker ein regional in Dresden verankertes Problem, "das sich in anderen, besonders in westdeutschen Städten als Fehlzündung erweist".

Den unterschiedlich starken Zulauf zu "Pegida"-Demonstrationen begründet Nolte mit verschieden ausgeprägten zivilgesellschaftlichen Kräften. So erkläre sich, dass im Gegensatz zu Dresden schon in Leipzig das Verhältnis von "Pegida"-Teilnehmern und Gegendemonstranten umgekehrt sei. Er verwies auf die Leipziger Bürgerbewegung in der friedlichen Revolution 1989. Insgesamt sehe er im Aufbau der Bürgergesellschaft in den neuen Bundesländern einen großen Erfolg. "Man muss langen Atem haben - 25 Jahre sind historisch gesehen keine lange Zeit", sagte der Historiker. In den USA habe die Integration der Südstaaten nach dem Bürgerkrieg mehrere Generationen lang gedauert.

Nolte warnte vor einem nachlassenden Demokratie-Vertrauen in der Bevölkerung. Manche Menschen seien durch die offene Gesellschaft und ihre Diskurse überfordert. Der Ruf "Lügenpresse" zeige, dass auch den Medien Misstrauen entgegen gebracht werde. "Stattdessen bauen sich diese Menschen eine Parallelwelt auf. Wir sollten aus 'Pegida' lernen, das ernster zu nehmen", sagte der Wissenschaftler. Es sei eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, gegenzusteuern und zu widersprechen. Dies fordere er nicht nur von Parteien, Kirchen und Verbänden, sondern ebenso von jedem Einzelnen: "Wenn der Arbeitskollege oder Nachbar sagt, Politiker würden ohnehin nur machen, was sie wollen, oder dass Medien würden lügen - auch wenn wir in Internet-Kommentaren diese Einstellungen wiederfinden, dann braucht es Mut zum Widerspruch."

Im Vergleich zu den 1920er Jahren, als der Rechtsextremismus in Deutschland wuchs und 1933 in die NS-Diktatur mündete, sieht Nolte klare Unterschiede. Der wichtigste sei die demokratische Zivilgesellschaft, die in der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren gewachsen sei. Man erkenne dies durch das Übergewicht von Gegendemonstranten in den meisten Städten. "'Pegida' ist zwar neu, aber die Bundesrepublik hat eine jahrzehntelange Erfahrung mit rechtspopulistischen Bewegungen", sagte der Historiker. Als Beispiel nannte er die Republikaner. Die politischen Gegenreaktionen seien inzwischen eingeübt: "Das Spektrum reicht von scharfer Abgrenzung bis zum Brückenbau, um eine Rückkehr in die demokratische Vernunft zu erleichtern."

Kein Verlangen nach Führerfigur

Die Gefahr eines Erstarkens der rechtspopulistischen Bewegung durch die Fokussierung auf eine Führerfigur sieht Nolte nicht. Dies sei anders als in Österreich zur Zeit Jörg Haiders oder in Frankreich mit Jean-Marie und Marine Le Pen. Das Charakteristische der Proteste in der Bundesrepublik sei, dass sie sich nicht auf eine charismatische Figur richteten, sondern lieber diffus bleiben möchten. "Auch in der AfD finde ich kein Charisma", sagte der Professor, der an der Freien Universität Berlin lehrt.

Das Verhältnis der "Pegida"-Bewegung zur Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) ist nach Einschätzung Noltes noch offen. Die Strukturen seien noch nicht gefestigt. "Von der Mobilisierung der AfD hat die 'Pegida'-Bewegung wahrscheinlich profitiert, weniger direkt als durch Schaffung eines Protestklimas rechts der Unionsparteien", sagte der Historiker. Er sehe einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Rückzug aus der Wahl-Demokratie und dem Erstarken von "Pegida".

Der 51-jährige Paul Nolte ist seit 2005 Professor für Neuere Geschichte mit Schwerpunkt Zeitgeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Ehrenamtlich ist er als Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin tätig. Er ist nicht verwandt mit dem Geschichtswissenschaftler Ernst Nolte, der in den 1980er Jahren den Historikerstreit um die Einmaligkeit der nationalsozialistischen Verbrechen mit angestoßen hat.


Quelle:
epd