Bundespräsident Gauck besucht Nachtcafé der Obdachlosenhilfe

Eine Pause von der Kälte

Bundespräsident Joachim Gauck hat sich am Dienstag in Berlin unter Obdachlose gemischt. Der Besuch in einem von einer Kirchengemeinde betriebenen Nachtcafé beeindruckte ihn sichtlich.

Gauck besucht Obdachlosenhilfe (dpa)
Gauck besucht Obdachlosenhilfe / ( dpa )

Immer wieder löst sich ein Schatten aus der Dunkelheit der Straße und steuert unsicher auf den Eingang des Nachtcafés in der Taborkirche in Berlin-Kreuzberg zu. "Kommen Sie! Es ist offen", ruft Pfarrer Stefan Matthias und winkt die zum Teil torkelnden Gestalten heran. Sie sollen keine Scheu haben vor dem Pulk aus Medienleuten, Polizisten und Leibwächtern, die am Fuße der Treppe auf den Bundespräsidenten warten.

Auf Einladung der Diakonie will sich Joachim Gauck gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt an diesem gefühlt eisigen Januarabend ein Bild von der Arbeit der Berliner Kältehilfe für Obdachlose machen. Dafür hat er sich das Nachtcafé der evangelischen Taborgemeinde mitten im multikulturellen Szenebezirk Kreuzberg ausgesucht.

Ein warmes Plätzchen und Verpflegung

Die Einrichtung gehört zum Netzwerk der Berliner Kältehilfe und bietet Wohnungslosen während der Wintermonate immer dienstags zwischen 21.30 Uhr abends und 8 Uhr morgens ein warmes Plätzchen. 50 bis 60 Schlafplätze fasst der Kirchenraum maximal, berichtet Gemeindepfarrer Matthias dem Bundespräsidenten. Dazu gibt es für die "Gäste" Tee, Kaffee, eine warme Mahlzeit und am Morgen ein Frühstück.

Ermöglicht wird das alles durch die Arbeit von Ehrenamtlichen wie Annemarie Böhl.

Die resolute 83-Jährige ist von Anfang an dabei und so etwas wie die gute Seele des Obdachlosenprojekts. Seit 22 Jahren ist sie in den Wintermonaten jeden Dienstag vor Ort, gibt Schlafmatten und Decken aus, schenkt Kaffee ein oder verteilt Suppe. "Wir haben 1993 geöffnet, weil Leute auf der Straße erfroren waren", erinnert sich Böhl.

Damals schlossen sich mehrere Berliner Kirchengemeinden zusammen, um für jeweils eine Nacht in der Woche Obdachlosen eine sichere und warme Unterkunft zu bieten. Jeder macht was er kann, hieß die Parole, und so organisierte die Taborgemeinde eines von berlinweit heute 14 Nachtcafés im Netzwerk der Berliner Kältehilfe.

Dazu kommen weitere 14 Notübernachtungen für Obdachlose, wie die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Barbara Eschen, dem Bundespräsidenten erklärt. "So haben wir pro Nacht um die 517 Übernachtungsplätze für Obdachlose in Berlin. Deutschlandweit ist das schon ein ziemlich einmaliges System", sagt Eschen.

73.000 Übernachtungen im Jahr

Hauptträger der Berliner Kältehilfe sind die Berliner Stadtmission, die Gebewo Soziale Dienste Berlin gGmbH und das Deutsche Rote Kreuz. Im vergangenen Jahr wurden laut Eschen 73.000 Übernachtungen gezählt, über 2.000 mehr als in der Vorsaison. Vor fünf Jahren waren es noch 57.000 Übernachtungen.

Der Berliner Senat beteiligte sich zwar an den Kosten. "Aber wenn wir hier nicht Ehrenamtliche hätten, ginge das überhaupt nicht", sagt die Diakoniedirektorin. Ursula Krzeszowski zum Beispiel. Die gebürtige Polin kommt jeden Dienstag aus dem Berliner Vorort Borgsdorf, um zu übersetzen. Etwa 60 bis 70 Prozent der Gäste des Nachtcafés kommen mittlerweile aus Polen. "Es macht wirklich Spaß, wenn man den Menschen hier helfen kann", sagt Krzeszowski, die selbst seit 26 Jahren in Deutschland lebt.

Ärzte helfen kostenlos

Oder die beiden Ärzte Moritz Plunk (37) und Andrea Zoll (34). Die beiden Gefäßchirurgen sind - wenn es die eigenen Dienste zulassen - jeden Dienstag im Nachtcafé, um Kranke zu behandeln, kostenlos natürlich. Darauf gekommen sind sie durch einen Freund, "der hier im Kiez wohnte".

Der Bundespräsident stößt unterdessen mit einem polnischen Gast mit einer Tasse Kaffee an und bekommt ein "Danke Präsidenta!" zugerufen. Später redet er mit einer sichtlich unter Drogen stehenden jungen Frau: "Ich bin aus meiner Wohnung geflogen", erzählt sie. "Sie sind zu jung, um sich aufzugeben!", erwidert Gauck. Der Bundespräsident lässt sich auch von einem massigen Mann für ein Selfie ablichten und ist sichtlich beeindruckt von diesem Ort der Solidarität und Nächstenliebe.

Der Besuch werde ihm noch lange im Gedächtnis bleiben, sagt Gauck im Anschluss. Man müsse den Menschen dankbar sein, die sich in sozialen Einrichtungen wie dem Nachtcafé als Ehrenamtliche engagieren. "Es geht nicht darum, alles tun zu müssen, sondern es geht darum, das Mögliche zu tun." Das werde mit dem Nachtcafé beispielhaft gezeigt. "Deswegen werde ich diesen ersten Außentermin in neuem Jahr nicht so schnell vergessen", sagt Gauck.

 


Quelle:
epd