Overbeck: Schutzverantwortung im Mittleren Osten gerecht werden

"Du sollst nicht töten lassen"

Die internationale Gemeinschaft hätte nach Ansicht des Militärbischofs Overbeck viel früher den Vormarsch des "Islamischen Staates" stoppen müssen. Ab wann ein Einschreiten geboten ist, erklärt er im domradio.de-Interview.

Militärbischof Overbeck (KNA)
Militärbischof Overbeck / ( KNA )

domradio.de: Darf man im Namen Gottes Krieg führen?

Bischof Franz-Josef Overbeck (Bistum Essen, Militärbischof der Bundeswehr): Eine Religion hat immer zuerst ein Friedenspotenzial und will, dass Menschen in Frieden gut miteinander leben können. Wenn es aber um die Frage geht, wie kann diese Religion gelebt werden - das hat dann mit der Wahrheit zu tun - gibt es immer wieder Konflikte. Konflikte werden oft mit Gewalt ausgetragen. Eine solche Spur zieht ebenso wie die Friedensfähigkeit von Religionen auch die Geschichte, nämlich die Wirklichkeit, dass Religion nicht nur mit Gewalt zusammengedacht wird, sondern auch zusammengelebt wird. Das kann man momentan im Mittleren Osten erleben. Ich kann aber gleichzeitig auch genauso daran erinnern, dass das Christentum viele solcher gewalttätigen Zeiten gekannt hat.

domradio.de: Welche theologischen Argumente sprechen denn dagegen, einen Krieg im Namen Gottes zu führen?

Overbeck: Gott selbst will immer das Gute für den Menschen, ist von sich heraus der Friede. Und zwar der Friede, wie wir Menschen ihn selber nicht machen können, sondern nur als Geschenk erhalten. Wir Christen beziehen uns dabei immer auf Jesus und wissen, von ihm her gesehen, ist nicht nur das Ideal, sondern auch die Wirklichkeit, die Gott von uns will, der Friede. Da der Mensch aber immer mit der Fähigkeit behaftet ist, ideologisch zu werden, kann er auch die Religion so missbrauchen, so dass er gegen das Wesen der Religion selbst verstößt und eben, angeblich um religiöse Konflikte zu bewältigen, Kriege entfacht.

domradio.de: Gerade das Christentum predigt ja die Gewaltlosigkeit. Jesus hat sogar die Feindesliebe gepredigt: "Und wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die linke hin", hat er gesagt. Muss man sich nicht konsequent daran halten?

Overbeck: Angesichts der Konflikte und der Opfer, die sie hervorbringen, ist immer auch eine andere Feststellung zu machen. Jeder Mensch hat das Recht auf Unversehrtheit von Leib, Seele und Geist. Er soll und muss mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen und die erst einmal friedliche sind, dafür einstehen, dass er auch unversehrt bleibt. Jetzt sehen wir massenhaft im Mittleren Osten, dass mit Gewalt im Namen der Religion vorgegangen wird und damit auch klare Ziele verfolgt werden: Nämlich Opfer zu produzieren, vor allen Dingen auch viele Menschen zu töten. In diesem Fall gilt nicht nur 'du sollst nicht töten', sondern auch 'du sollst nicht töten lassen'.

Und unter dieser Rücksicht ist dann geboten, einzuschreiten. Dabei entsteht aber ein Konflikt, der nicht auflösbar ist, dass nämlich immer Schuldzusammenhänge entstehen. Wer 'Du sollst nicht töten lassen' ernst nimmt, der nimmt in Kauf, dass andere Menschen dafür sterben müssen. Das löst einen solch schuldhaften Konflikt nicht ins Positive auf, sondern belastet ihn.

domradio.de: Die Frage nach dem gerechten Krieg, also ob Gewalt angewendet werden darf, um Gewalt zu beenden, wird ja immer wieder und gerade in der Kirche kontrovers geführt. Muss man da jedes Mal im Einzelfall entscheiden oder gibt es da auch grundsätzliche Kriterien?

Overbeck: Jeder Einzelfall ist klug zu bedenken, auch in all seinen Perspektiven und auch in seinen Konsequenzen, die immer unterschiedlich sind. Von daher gibt es dort keine generelle Lösung. Deutlich ist nur, dass das, was wir heute Schutzverantwortung nennen, zu der Verantwortlichkeit der Weltgemeinschaft für alle Menschen oder auch für Bevölkerungsgruppen und für einzelne Staaten gehört, denen wir nicht entkommen.

domradio.de: Wenn wir jetzt nochmal auf den aktuellen Fall zurückkommen, da sind Sie selbst sehr eindeutig: Der militärische Einsatz gegen die IS-Terroristen im Nordirak ist gerechtfertigt. Dazu stehen Sie, oder?

Overbeck: Dazu stehe ich aufgrund der Opfer, die die Gewalt des IS produziert hat. Um gerade auch als Christ und als Bischof in diesem Sinne erst recht zu sagen: Opfer sind immer und überall zu schützen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.


Bischof Overbeck (dpa)
Bischof Overbeck / ( dpa )
Quelle:
DR