Nahost-Experte: Manche beschwören dritte Intifada herauf

Gefahr des Abgleitens in die Radikalität

Der Nahost-Experte Hans-Maria Heyn warnt davor, einen Palästinenser-Aufstand herbeizureden. "Soweit sind wir noch nicht", urteilt der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah. Er blickt auf die Lage im Westjordanland und in Gaza.

Junge Palästinenser bei Nazareth (dpa)
Junge Palästinenser bei Nazareth / ( dpa )

domradio.de: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass es zu einem gewaltsamen Aufbäumen der Palästinenser kommen wird?

Hans-Maria Heyn (Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Ramallah): Das ist gegenwärtig nicht mehr ganz auszuschliessen. Gleichwohl ist es natürlich so, dass alle Leute über die dritte Intifada reden, sie schon fast herbei beschwören. Soweit sind wir aber noch nicht! Was wir gegenwärtig sehen in Jerusalem, ist ein regionaler Konflikt, der sich auf Ostjerusalem bezieht: regionale Gewaltausschreitungen, regionale Zusammenstöße, die sich aber noch nicht auf den Rest Israels oder auf die Westbank oder erneut wieder auf den Gaza-Streifen übertragen haben. Für eine Intifada fehlt uns die Regionalität. Im Osten Jerusalems haben wir es aber in den letzten Wochen und Monaten mit einem wirklichen Anstieg der Gewalt zu tun.

domradio.de: Wie hat sich die Situation in Gaza inzwischen weiter entwickelt, seitdem der offene Krieg zwischen Israel und der Hamas zu Ende gegangen ist?

Heyn: In Gaza haben wir eine ganz neue Entwicklung. Der Krieg ist am 26. August zu Ende gegangen, das ist eine ganze Zeit lang her. In Gaza beschäftigt man sich momentan mit dem Wiederaufbau von zerstörter Infrastruktur, von Privathäusern, von Schulen. Dazu gab es ja die große Geberkonferenz in Kairo, wo mehr Geld zugesagt wurde als am Anfang gedacht und das wohl ausreicht, um Zerstörtes in Gaza wiederaufzubauen.

Gleichwohl muss man, um Gaza zu verstehen, muss man verstehen, dass Gaza sehr stark isoliert ist, isoliert von der Westbank, isoliert von großen Teilen der Welt. Der Wiederaufbau zerstörter Infrastruktur wird uns mehr oder weniger nur auf den Punkt zurückbringen, auf dem wir vor dem Krieg schon waren. So lange man in Gaza das Problem der Isolation nicht in Griff bekommt, wird man das Problem der Radikalisierung in Gaza nicht in den Griff bekommen. Das eine bedingt das andere und daher ist dieser gesamte Aufbau von Infrastruktur zwar notwendig und wichtig zum gegenwärtigen Zeitpunkt, aber man muss da im Grunde genommen, schon gleich einen Schritt weiterdenken und sagen, wie löst man das Problem Gaza langfristig.

domradio.de: Wie fühlen sich denn die Palästinenser im Westjordanland unter der Fatah-Regierung?

Heyn: Also Westbank ist anders als Gaza. Westbank ist längst nicht so isoliert wie der Gaza-Streifen, aus der Westbank kann man rausreisen, zwar für einen Palästinenser immer ein bisschen mit Schwierigkeiten verbunden -entweder nach Jordanien oder mit größeren Schwierigkeiten nach Israel. Was die Palästinenser in der Westbank aber fühlen, ist, man fühlte sich in den letzten Wochen, Monaten nicht mehr repräsentiert durch die gegenwärtige politische Führung durch die Fatah, die die Westbank kontrolliert, durch die palästinensische Autonomiebehörde. Zunehmend fordern die Palästinenser in der Westbank Leistungen, fordern Fakten von der Autonomiebehörde. Es ist zu wenig geschehen aus der Sicht der Palästinenser, zu wenig in Richtung Friedensprozess, zu wenig in Richtung Entwicklung in der Westbank. Daher ist man unzufrieden mit dem, was die Führung gegenwärtig leistet.

domradio.de: Machen  die Menschen ihre eigene politische Führung dafür verantwortlich, dass der Friedensprozess stockt oder wird die Schuld bei Israel gesucht?

Heyn: Der Friedensprozess ist natürlich ein Friedensprozess, der mit beiden Seiten geführt werden muss. Was wir sehen, ist eine hohe Unzufriedenheit mit der eigenen Fatah-Führung. Das sehen wir in den Umfragen, die wir vierteljährlich als Konrad-Adenauer-Stiftung in Auftrag geben. Da sehen wir, dass die Zustimmungsrate für Präsident Abbas und für die Fatah ganz erheblich gefallen sind - sowohl im Zuge des zweiten Gaza-Krieges, aber auch auf lange Sicht. Das hat damit zu tun, dass die Menschen Fortschritte sehen wollen. Diese Fortschritte können nur mit Israel erreicht werden und sie können nur mit einem verhandlungsbereiten Partner auf palästinensischer Sicht erreicht werden (der Fatah). Daher ist es ja zum gegenwärtigen Zeitpunkt so wichtig, diese verhandlungsbereiten Partner, diesen moderaten Partner auf palästinensischer Sicht zu stärken, denn hat man nicht mehr Präsident Abbas, hat man nicht eine Palästinenserverwaltung unter Fatah-Führung, so ist die Gefahr groß, dass es wieder ein Abgleiten in Radikalität gibt.

Das Interview führte Christian Schlegel


Quelle:
DR