DDR-Pater Venzke zum Mauerfall

"Größtes religiöses Ereignis des letzten Jahrhunderts"

Die Zahl der Kirchenmitglieder schrumpfte in der DDR. Dank engagierter Pfarrer blieben jedoch einige Gemeinden bestehen. Pater Bernhard Venzke aus der Kommunität der Dominikaner in Leipzig kann sich noch gut an die Zeit von 1989 erinnern. Ein domradio.de - Interview.

 (DR)

domradio.de: Ein Katholik und dann auch noch Pfarrer in der DDR – das hat sich nicht gut vertragen, oder?

Pater Venzke: Der Ausstieg aus der Gesellschaft war schwierig. Und  wenn man dann in der Kirche war, musste man weiterhin aufpassen. Vieles durfte nur für den innerdienstlichen Dienstbrauch gebraucht werden -  was aber so auch nicht geblieben ist.

domradio.de: Ein Jahr vor dem Mauerfall sind Sie zum Priester geweiht worden. Hat man Ihnen denn Steine in den Weg gelegt?

Venzke: Ja, beim Ausstieg. Als ich mich in der elften Klasse  - in einem sozialistischen Internat - entschieden habe, Priester zu werden und dass dann auch bekannt wurde, gab es großen Ärger und Schwierigkeiten. Steine wurden mir auch von der Armee in den Weg gelegt. Mir als geweihter Diakon wurde gesagt: Sie werden jetzt Baupionier (Anmerk. der Red: Teile der NVA, die für Bauarbeiten zuständig waren). Aber dann hat mir die Kirche dabei geholfen, dass ich dann doch nicht zur Armee musste.

domradio.de: Stand man denn als Pfarrer unter Generalverdacht, die Gesinnung zu unterwandern?

Venzke: Klar. Auf der anderen Seite muss man aber sagen, dass es durchaus Genossen gab, die die Kirche wertschätzten und dass wir auch dafür gesorgt haben, dass es einen gewissen Moralkodex gab. Zum dritten waren wir ja die Devisenbringer Nummer eins, dank des Bonifatiuswerks der deutschen Katholiken. Man hat schon aufgepasst, dass unsere Ideen nicht übergehen, aber unser Geld haben sie für Kirchbauten gerne genommen.

domradio.de: Dann kam der 9. November 1989. Welche Erinnerung haben Sie an diesen Tag?

Venzke: Ich weiß, dass ich abends in unserer Kaplanswohnung Nachrichten geschaut habe - auch diese berühmte Schabowski-Szene. (Anmerk. der Redaktion: Mit den Worten "Das tritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort, unverzüglich" hat Schabowski die Öffnung der Grenzen bekannt gegeben).

Ich bin an der Grenze groß geworden und habe das erstmal nicht geglaubt. Dann sickerte das so langsam durch, weil mein Bruder mich anrief und sagte: Hast du gehört? Dann habe ich erstmal ne Runde geheult, dann bin ich zu meinem Pfarrer runter, dann haben wir beide geweint und dann Gott gedankt.

domradio.de: In der Zeit zwischen dem 18. September und dem 2. Oktober 1989 haben Sie mehrere Friedensgottesdienste gefeiert. Was war das damals für eine Atmosphäre?

Venzke: Total gespannt. Man hatte das Gefühl, das kann hier jederzeit explodieren. Ich bleibe dabei, dass es das größte religiöse Ereignis des letzten Jahrhunderts war. Die Leute sind erst arbeiten gegangen, dann beten und dann demonstrieren: Und dass das ohne Blutvergießen abgelaufen ist – das haben wir dem ganz großen Chef zu verdanken.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.

Das Gespräch führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR